Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
als Zugabe, ein Taschenbuch mit dem Titel Ranchhouse Lust in ihrem Kleiderschrank vorfanden. Da wir sicher sein konnten, dass unsere Väter nicht ein Wort darüber verlieren würden, riskierten wir dabei rein gar nichts. Allerdings mussten wir den Stapel beim nächsten Mal woanders suchen. Ich weiß nicht, ob die Frauen in den fünfziger Jahre nicht mit ihren Männern schliefen, jedenfalls war diese Vorliebe für Magazine mit nackten Mädchen ein weit verbreitetes Phänomen. Vielleicht hing es in irgendeiner Weise mit dem Krieg zusammen.
Die Magazine, die unsere Väter lasen, hatten Namen wie Dude und Swell. Sie enthielten Fotos von ziemlich reizlosen Frauen mit gut gepolsterten Hüften und Brüsten wie Fußbällen, denen allmählich die Luft ausgeht. Die Frauen im Playboy waren jung und hübsch und sahen nicht aus wie die Mädchen, die ein Matrose beim Landgang aufsucht. Neben seinen unschätzbaren Diensten als Verbreiter von Nacktfotos attraktiver Frauen leistete der Playboy einen Beitrag zur Vermittlung des adäquaten Lebensstils. Wie ein monatlich erscheinender Ratgeber in Lebensfragen machte er den Leser mit den Grundsätzen von Börsenspekulationen vertraut, vermittelte Richtlinien für den Kauf einer Hi-Fi-Anlage, lehrte die Kunst des Cocktailmixens und
die Hohe Schule des kultivierten Umgangs mit Frauen. Für jemanden, der in Iowa aufwuchs, waren dies wertvolle Lebenshilfen. Ich las jede Ausgabe von vorne bis hinten, selbst das Impressum unter der Inhaltsangabe. Das taten wir alle. In unseren Augen war Hugh Hefner ein wahrer Held. Heute kann ich das kaum mehr glauben, denn eigentlich kam mir Hugh Hefner schon immer wie ein kleiner Arsch vor. Wer würde sein Leben schon, in einen seidenen Morgenmantel gehüllt und mit Pantoffeln an den Füßen, auf einem riesigen, kreisrunden Bett vertun wollen, selbst wenn er alles Geld der Welt besäße? Wer wäre scharf darauf, sich mit Scharen dieser Art Mädchen zu umgeben, die sich nackt bei Kissenschlachten fotografieren lassen, nur um ihr Bild in einer Zeitschrift zu sehen? Und wer wäre begeistert bei der Vorstellung, eines Abends nichts ahnend ins Wohnzimmer zu treten und Buddy Hackest, Sammy Davis Jr. und Joey Bishop am Piano versammelt vorzufinden? Höre ich da ein einhelliges »Um Himmels willen, ist ja furchtbar!« unter der Leserschaft? Jedenfalls kaufte ich, wie alle die anderen, dennoch jede Ausgabe.
Für meine Generation war der Playboy so etwas wie ein älterer Bruder. Im Laufe der Jahre veränderte er sich – genau wie ein älterer Bruder. Er hatte einige finanzielle Rückschläge erlitten, hatte ein kleines Problem mit dem Glücksspiel gehabt und war schließlich an die Küste umgesiedelt – wie das auch die echten Brüder tun. Wir hatten uns aus den Augen verloren. Tatsächlich hatte ich jahrelang nicht an ihn gedacht. Und dann plötzlich, ausgerechnet in Oxford, Mississippi, begegneten wir uns wieder. Es war, als stünde ich nach vielen Jahren einem alten High-School-Idol gegenüber, das inzwischen kahlköpfig und langweilig geworden war und noch immer diese grellen Pullover mit V-Ausschnitt und glänzend schwarze Schuhe mit Goldtressen trug, wie sie um 1961 in Mode waren. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass sowohl der Playboy als auch ich selbst um einiges mehr gealtert waren, als ich mir bis dahin eingestanden
hatte, und dass es nichts mehr gab, das uns verband. Traurig legte ich den Playboy ins Regal zurück. Ich wusste, bis ich wieder ein Heft in die Hand nähme, würde viel Zeit vergehen – dreißig Tage, um genau zu sein.
Ich sah mir die anderen Zeitschriften an. Es waren mindestens 200, und alle wandten sich an eine sehr spezialisierte Leserschaft. Es gab Zeitschriften für den Sammler von Maschinengewehren, für die korpulente Braut und für den christlichen Tischler. Für einen normalen Menschen war nichts dabei. Also verließ ich die Buchhandlung.
Über die South Lamar Street fuhr ich in Richtung Rowan Oak, nachdem ich zuvor eine Runde um den Platz gedreht hatte. Ich folgte den Anweisungen der Lady aus dem Tourist Information Office so gut ich eben konnte, aber das Haus fand ich beim besten Willen nicht, was mich, ehrlich gesagt, nicht sonderlich betrübte. Schließlich wusste ich, dass das Haus geschlossen war. Außerdem habe ich es nie geschafft, einen Roman von William Faulkner weiter als bis Seite drei zu lesen (also ungefähr bis zur Hälfte des ersten Satzes). Mein Interesse an seinem Haus hielt sich dementsprechend in
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