Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
ganzes Leben hatte Faulkner in Oxford verbracht. Sein Haus blieb seit seinem Todestag im Jahr 1962 unverändert und dient heute als Museum. Es muss zermürbend sein zu wissen, man ist so berühmt, dass sich die Nachwelt, sobald man den Löffel abgegeben hat, auf die Privatsphäre stürzen wird, dass Leute die Türen mit Samtkordeln behängen und ehrfürchtig jeden einzelnen Gegenstand unter die Lupe nehmen werden. Wie peinlich für den, der ein Reader’s-Digest -Heft auf dem Nachttisch liegen ließ, bevor er das Zeitliche segnete.
Am Informationsschalter saß eine große, außergewöhnlich gut gekleidete schwarze Frau. Ich war ein wenig überrascht, in Mississippi eine so stattliche Erscheinung zu sehen. Sie trug ein für diese Hitze viel zu warmes, dunkles Kostüm. Ich fragte sie nach dem Weg zum Rowan Oak. »Parken Sie auf dem Courthouse Square?«, wollte sie wissen. (Aus ihrem Mund klang die Frage etwa so: »You pocked on the Courthouse Skwaya?«)
»Ja.«
»Okay, Honey, Sie steigen in Ihr Auto, drehen eine Runde, verlassen den Platz am anderen Ende, fahren drei Blocks in Richtung Universität, biegen an der Ampel rechts ab, fahren den Berg hinunter und schon sind Sie da. Alles klar?« (Originalton: »Un’stan?«) Sie sprach mit einem so derben Akzent, dass ich sie schon allein deshalb nicht verstand.
»Nein.«
Sie seufzte und begann von neuem: »Sie steigen in Ihr Auto, drehen eine Runde –«
»Heißt das, ich muss um den Platz herumfahren?«
»Genau, Honey. Sie drehen eine Runde.« Sie sprach mit mir, wie ich mit einem Franzosen sprechen würde. Als sie ihre Wegbeschreibung beendet hatte, gab ich vor, alles verstanden zu haben, obwohl ich so gut wie nichts damit anfangen konnte. Ich
war verblüfft, solch sonderbare Laute aus dem Mund einer so eleganten Frau zu hören. Ich stand schon in der Tür, als sie mir nachrief: »Hit doan really matter anyhow cuz bit be’s closed now.« Sie sagte hit, und sie sagte wirklich be’s .
»Bitte?«
Sie wiederholte, und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass sie mir zu verstehen geben wollte, Rowan Oak sei jetzt geschlossen. Ich könne mir zwar das Grundstück ansehen, aber ins Haus könne ich nicht.
Während ich um den Platz schlenderte, gelangte ich zu der Erkenntnis, dass Miss Hippy ein hartes Stück Arbeit darstellte. Ich sah mir die Geschäfte an. Attraktive, gut gekleidete Frauen gingen ein und aus. Sie waren sonnengebräunt und machten durchweg einen vermögenden Eindruck. An einer Straßenecke entdeckte ich eine Buchhandlung. Ich ging hinein und sah mich um. Am Zeitschriftenstand schmökerte ich in einem Playboy- Heft und stellte bestürzt fest, dass das Magazin inzwischen auf diesem schrecklichen Hochglanzpapier gedruckt wird, das die Seiten wie nasse Papierhandtücher zusammenkleben lässt. Man kann einen Playboy nicht mehr schnell überfliegen, man muss Seite für Seite voneinander lösen, wie man Papier von einem Stück Butter abzieht. Ich blätterte mich also durch bis zu den ganzseitigen Fotos. Sie zeigten eine unbekleidete Schönheit in den verschiedensten Posen auf Betten und Diwans. Sie wirkte kess und war unbestritten attraktiv, aber ich schwöre bei Gott, sie war doppelseitig gelähmt. Für jedes Foto hatte man kunstvoll seidige Stoffe über ihre höchstwahrscheinlich verkümmerten Beine drapiert. – Oder hatte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank?
Als ich erkannte, dass auch der Playboy nicht mehr ist, was er einmal war, fühlte ich mich alt, niedergeschlagen und fremd in diesem Land. So weit ich zurückdenken konnte, war der Playboy ein Eckpfeiler im Leben eines jeden Amerikaners. Jeder Mann und jeder Junge in meinem Bekanntenkreis lasen ihn. Manche
Männer leugneten es. Zu Letzteren gehörte mein Dad. Erwischte man ihn, wie er im Supermarkt verstohlen einen Blick hineinwarf, wurde er verlegen und tat, als gelte sein Interesse eigentlich der Zeitschrift Better Homes and Gardens. Aber auch er las den Playboy. Er besaß sogar einen kleinen Stapel Herrenmagazine, die er in einer alten Hutschachtel in der dunkelsten Ecke seines Kleiderschranks aufbewahrte. Die Väter aller Kinder, die ich kannte, hielten irgendwo einen kleinen Stapel Herrenmagazine versteckt und dachten, sie allein wüssten davon, was natürlich ein gewaltiger Irrtum war. Gelegentlich tauschten wir Kinder untereinander die Magazine unserer Väter aus und stellten uns ihre Verblüffung vor, wenn sie statt der letzten Ausgabe von Gent nun zwei Jahre alte Nugget-Hefte und,
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