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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Grenzen.
    Während ich durch die Straßen irrte, kam ich jedoch am Gelände der University of Mississippi vorbei, und das war wesentlich interessanter. Auf dem Campus stand ein prächtiges Bauwerk neben dem anderen, jedes so stattlich wie eine Bank oder ein Gerichtshof. Über dem Rasen lagen lange Schatten. Junge Leute liefen umher und trugen Bücher unter den Armen, oder sie saßen an Tischen und arbeiteten. Alle wirkten sie so kerngesund wie eine Flasche Milch. Ein schwarzer Student saß mit seinen weißen Kommilitonen an einem Tisch. Die Zeiten hatten sich offenbar geändert. Als sich auf die Woche genau vor fünfundzwanzig Jahren ein junger Schwarzer namens James Meredith in Ole Miss immatrikulierte, begleitet von einer Eskorte von 500 Bundespolizisten, wurde ebendieser Campus zum Schauplatz blutiger Krawalle. Der Gedanke, ihren Campus mit
einem »Niggra Boy« teilen zu müssen, hatte die Bürger von Oxford so erzürnt, dass sie dreißig Polizeibeamte verletzten und zwei Journalisten töteten; Unter denen, die damals Steine warfen und Autos in Brand steckten, müssen sich auch viele Eltern dieser so unbeschwert wirkenden Studenten befunden haben. Sollte es wirklich möglich sein, dass dieser tiefsitzende Hass innerhalb von nur einer Generation erloschen war? Es schien unwahrscheinlich. Andererseits war es unvorstellbar, dass sich diese ruhigen Studenten aus rassistischen Gründen Straßenschlachten liefern könnten. Genau genommen war es unvorstellbar, dass diese adretten, zielstrebigen jungen Leute überhaupt aus irgendeinem Grund auf die Barrikaden gingen – es sei denn, man käme auf die Idee, ihnen in der Mensa ihre Ration Schokoladenkekse zu kürzen.

    Ich beschloss, einem Impuls nachzugeben, und fuhr nach Tupelo; der Heimatstadt von Elvis Presley, fünfunddreißig Meilen weiter östlich. Es war eine angenehme Fahrt. Die Sonne stand tief, und es war warm. Zu beiden Seiten säumten dichte Wälder die Straße. Auf einzelnen Lichtungen standen Hütten, vor denen in der Regel Scharen schwarzer Kinder Fußball spielten oder Fahrrad fuhren. Gelegentlich waren auch schönere Häuser mit weitläufigen, gepflegten Rasenflächen zu sehen – die Häuser weißer Leute. Dort parkten geräumige Kombiwagen auf den Auffahrten, und über jedem Garagentor hing ein Basketballkorb. Oft stand in bemerkenswerter Nähe zu diesen Häusern – manchmal direkt daneben – eine ärmliche Hütte. Im Norden wäre so etwas unmöglich. Es kam mir außerordentlich paradox vor, dass Südstaatler Schwarzen gegenüber so viel Verachtung empfanden, aber gleichzeitig gemütlich neben ihnen leben konnten. Ein typischer Nordstaatler dagegen hatte nichts gegen Schwarze, respektierte sie sogar als Menschen und gönnte ihnen jeden Erfolg, solange er nicht gezwungen war, Seite an Seite mit ihnen zu leben.

    Als ich in Tupelo ankam, war es dunkel. Die Stadt war größer, als ich erwartet hatte. Inzwischen war ich allerdings darauf eingestellt, dass die Dinge nie so waren, wie ich sie erwartete. Durch Tupelo zog sich ein langes, breites Band von Einkaufszentren, Motels und Tankstellen. Hungrig und müde wie ich war, wusste ich zum ersten Mal die Vorteile dieser Straßen zu schätzen. Hier lag alles beieinander und wartete auf einen erschöpften Reisenden wie mich – eine funkelnde Ansammlung von Einrichtungen, die sauber, bequem, zuverlässig und zu angemessenen Preisen alle erdenklichen Annehmlichkeiten darboten. Hier konnte man schlafen, essen, ausspannen und sich mit einem Minimum an körperlichem und geistigem Kraftaufwand mit allem Nötigen ausstaffieren. Obendrein bekam man eisgekühltes Wasser und eine zweite Tasse Kaffee als Gratiszugabe serviert, nicht zu vergessen all die kostenlosen Zündholzheftchen und parfümierten, einzeln verpackten Zahnstocher, mit denen man dem Gast das Leben erleichtern wollte. Welch ein wundervolles Land, dachte ich, als ich dankbar an Tupelos einladenden Busen sank.

7
    Am nächsten Morgen suchte ich das Geburtshaus von Elvis Presley auf. Es war noch früh, und ich rechnete damit, vor verschlossenen Türen zu stehen. Doch es hatte bereits geöffnet, und es herrschte reger Betrieb. Leute fotografierten das Haus von außen oder warteten vor der Tür auf Einlass. Das gepflegte, weiße Gebäude stand in einem städtischen Park im Schatten der Bäume. Seine Form erinnerte an einen Schuhkarton. Es war erstaunlich kompakt und hatte nur zwei Räume: ein Vorderzimmer mit einem Bett und einer Frisierkommode und dahinter

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