Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Richtung Süden und nahm Kurs auf Oxford. Die Straße streifte den Westrand des Holly Springs National Forest, der zu meinem Kummer überwiegend aus Sümpfen und Gestrüpp zu bestehen schien. Halb hatte ich erwartet, in Mississippi hinge von jedem Baum Spanisches Moos herab und sonnenschirmschwingende Frauen in bauschigen
Kleidern würden mir begegnen. Und auf den Wiesen würden weißhaarige Offiziere mit Schnauzbärten sitzen und Whisky mit Eis und frischer Minze trinken, während auf den Feldern singende Schwarze Baumwolle pflückten. Doch diese Landschaft war von Gestrüpp überwuchert und nichts sagend. Und heiß war es. Abgesehen von vereinzelten Hütten, auf deren Veranden alte, schwarze Männer in Schaukelstühlen saßen, bemerkte ich kaum Anzeichen von Leben.
In der Stadt Holly Springs versetzte mich ein Hinweisschild nach Senatobia für kurze Zeit in Begeisterung. Senatobia! Welch ein großartiger Name für eine Stadt in Mississippi! All die Borniertheit und Arroganz des alten Südens schien sich in diesen fünf Silben widerzuspiegeln. Vielleicht nähmen die Dinge jetzt eine interessantere Wendung. Vielleicht bekäme ich nun Sträflingskolonnen zu sehen, die sich unter der sengenden Sonne abmühten, oder könnte beobachten, wie ein von Bluthunden verfolgter Sträfling mit schweren Fußeisen über Felder lief oder durch Bäche stolperte, wie der Mob durch die Straßen zog und wie auf den Wiesen Kreuze verbrannten. Plötzlich war ich wieder hellwach, doch ich musste meine freudige Erregung zügeln, denn vor einer Ampel hielt neben mir ein Polizist und begann, mich lässig mit dieser gewissen Geringschätzung zu mustern, wie sie häufig außerordentlich dumme Leute an den Tag legen, sobald man ihnen ein Gewehr und einen Streifenwagen anvertraut. Er war übergewichtig und schwitzte. Vermutlich stammte er ebenso von den Affen ab wie der Rest der Menschheit, doch in seinem Fall war die Natur seltsame Wege gegangen. Ich hielt meinen Blick starr geradeaus gerichtet und hoffte, meine äußere Erscheinung verriete entschlossene Zielstrebigkeit, gepaart mit Herzensgüte, und vor allen Dingen einen über jeden Zweifel erhabenen Lebenswandel. Ich konnte seinen Blick förmlich fühlen und war darauf gefasst, dass er mir zumindest eine Ladung Tabaksaft ins Gesicht speien würde. Stattdessen vernahm ich: »How yew doin?« Vor lauter Verwirrung konnte ich nur ein heiseres
»Pardon?« herausbringen. Er wiederholte seine Frage, woraufhin ich für sein freundliches Interesse dankte und versicherte, es ginge mir bestens. Ich fügte noch hinzu, dass ich nach mehreren Jahren, die ich in Großbritannien verbracht hatte, nun eine Urlaubsreise unternähme.
»Hah doo lack Miss Hippy?«
»Pardon?«
»I say, hah doo lack Miss Hippy?«
Meine Unruhe steigerte sich ins Unerträgliche. Ich hatte es mit einem bewaffneten Südstaatler zu tun und verstand nicht eines seiner Worte. Nachdem ich ihm erklärt hatte, ich sei ein wenig schwer von Begriff und verstünde ihn daher nicht, wiederholte er betont deutlich: »I say, how doo yew lack Mississippi?«
Es dämmerte mir: Er wollte lediglich wissen, wie es mir im Staate Mississippi gefiele. »Oh! Es gefällt mir sehr gut! Ich finde es ganz wundervoll hier. Die Menschen sind so freundlich und hilfsbereit.« Ich wollte noch ergänzen, dass man noch nicht einmal auf mich geschossen hatte, obwohl ich mich nun schon seit einer Stunde hier aufhielt, doch die Ampel schaltete auf Grün, und er war verschwunden. Erleichtert sandte ich ein Dankgebet gen Himmel.
Ich fuhr weiter nach Oxford, dem Sitz der University of Mississippi, auch bekannt als »Ole Miss«. Die Bürger hatten ihrem Städtchen den Namen der englischen Universitätsstadt gegeben, weil sie hofften, den Staat auf diese Weise überzeugen zu können, keine Stadt in Mississippi eigne sich besser für die Gründung einer Universität als ihr Oxford. Ihre Rechnung ging auf. Ein anschauliches Beispiel für die Denkweise der Südstaatler. Oxford schien ein angenehmes Städtchen zu sein. Es war rund um einen Platz angelegt, in dessen Mitte sich das Lafayette County Courthouse erhob. Das Gebäude mit seinem hohen Uhrenturm und den dorischen Säulen wirkte im Sonnenlicht des Indian Summer ausgesprochen würdevoll. Rund um den Platz reihte sich ein hübsches Geschäft an das andere. Auch ein
Tourist Information Office befand sich darunter. Ich ging hinein, um mich nach dem Weg zum Rowan Oak, dem Haus von William Faulkner, zu erkundigen. Sein
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