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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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verständlich zu machen, bestellte ich eine Coca-Cola und war erleichtert, als dies keine weiteren Fragen aufwarf.
    Nicht nur die undeutliche Aussprache der Südstaatler macht es so schwierig, ihren Worten zu folgen. Nach einer Weile merkt man, dass es auch an ihrer Langsamkeit liegt. Der durchschnittliche Südstaatler spricht wie jemand, der im Laufe eines Satzes mehrmals das Bewusstsein verliert. In der Zeit, die die meisten Menschen in Mississippi brauchen, um einen Satz zu beenden, habe ich längst Schuhe und Strümpfe gewechselt. Dort zu leben, würde mich den Verstand kosten. Langsam, aber sicher.

    Columbus liegt in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze, so dass ich mich zwanzig Minuten nachdem ich die Stadt verlassen hatte in Alabama wiederfand. Über Ethelsville, Goal Fire und Reform fuhr ich in Richtung Tuscaloosa. Am Straßenrand warnte ein Schild DON’T LITTER. KEEP ALABAMA THE BEAUTIFUL. »O.k., versprochen, I the will «, antwortete ich vergnügt.
    Ich schaltete das Radio ein. Während der letzten Tage hatte ich häufig Radio gehört. Ich hatte gehofft, irgendeinen zurückgebliebenen Sender zu finden, der das Geklimper von Musikern wie Hank Wanker und Brenda Buns spielte. So wie ich es von früher kannte. Damals hatte mein auf naturwissenschaftlichem Gebiet genialer Bruder aus alten Konservendosen und dergleichen ein Kurzwellenradio zusammengebaut. Mitten in
der Nacht, als alle dachten, wir schliefen längst, lag er im Bett und drehte auf der Suche nach fernen Sendern an seinem Radio herum. Oft empfing er Sender aus dem Süden. Dann saß grundsätzlich ein notorischer Hinterwäldler am Mikrofon und brachte klimpernde Banjomusik. Die Sendestationen waren immer so weit entfernt, dass es in der Leitung rauschte und knisterte, als würde die Sendung von einem anderen Planeten übertragen. Doch rückständig wirkende Leute gab es inzwischen kaum noch im Radio. Auch den Akzent der Südstaatler hörte man so gut wie gar nicht mehr. Alle Discjockeys sprachen, als kämen sie aus Ohio.
    Kurz hinter Tuscaloosa musste ich tanken. Überrascht stellte ich fest, dass auch der junge Mann, der mich an der Tankstelle bediente, sprach, als käme er aus Ohio. Und so war es. Seine Freundin studierte an der University of Alabama, doch er selbst hasste den Süden und hielt ihn für langweilig und rückständig. Da der Junge auf Draht zu sein schien, fragte ich ihn nach den Stimmen im Radio. Er erklärte, dass ihr Ruf als beschissene Rednecks den Südstaatlern inzwischen so zu schaffen mache, dass sich alle Moderatoren in Radio und Fernsehen nach Kräften bemühten, mit ihrer Art zu sprechen den Anschein zu erwecken, sie kämen aus dem Norden und hätten nie im Leben auch nur einmal an Maismehlkeksen geknabbert oder an Hafergrütze geschnuppert. Nur so bekäme man heutzutage noch einen Job. Vor allen Dingen ermögliche es der flottere Tonfall des Nordens den Sendern jedoch, die Zeit, die ein durchschnittlicher Südstaatler brauche, um sich zu räuspern, mit drei oder vier Werbespots zu füllen. Das traf den Nagel auf den Kopf. Für seine aufschlussreichen Darlegungen gab ich dem jungen Mann 35 Cents Trinkgeld.

    Von Tuscaloosa folgte ich dem Highway 69 in Richtung Süden nach Selma. Ich erinnerte mich vage, dass die Stadt in der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre eine nicht unbedeutende
Rolle gespielt hatte. Damals führte Martin Luther King einen Demonstrationszug von Hunderten von Schwarzen an, die sich von Selma auf den Weg in die vierzig Meilen entfernte Staatshauptstadt Montgomery gemacht hatten, um sich als Wahlberechtigte registrieren zu lassen. Auch Selma erwies sich als erstaunlich reizvolles Städtchen. In dieser Region des Südens schien es von hübschen Städten nur so zu wimmeln. Selma war ungefähr so groß wie Columbus und ebenso schattig und bezaubernd. Bäume säumten die Straßen ins Zentrum. Die Gehsteige hatte man erst vor kurzem mit Ziegelsteinen gepflastert, und überall standen Bänke. Besonders gepflegt war der Stadtteil unweit des Flusses, dort, wo die Stadt an einem steilen Felsvorsprung mit Blick auf den Alabama River endet. Die ganze Stadt wirkte auf angenehme Weise wohlhabend. In einem Tourist Information Office besorgte ich mir Informationsmaterial über Selma. Darunter befand sich auch eine Broschüre, die das schwarze Erbe der Stadt würdigte. Das ermutigte mich. In Mississippi hatte ich nicht das geringste Anzeichen von Anerkennung für die schwarze Bevölkerung entdecken können. Zudem

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