Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Anbetracht des Namens schon ein wenig enttäuschte. Einfältig, wie ich war, hatte ich mich für diese Fahrtroute entschieden, weil der Name Pine Mountain in mir die Vision von sauberer Luft, von felsigen Abgründen, wohlriechenden Wäldern und rauschenden Bächen heraufbeschwor. Vor meinem geistigen Auge sah ich einen dieser Orte, wo einem John-Boy Walton über den Weg laufen könnte. Aber wer will es den Einheimischen schon verübeln, dass sie es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, wenn es darum geht, ein paar Dollars zu verdienen? Die Leute würden wohl kaum einen Umweg fahren, um einen Ort zu besuchen, der Pine Flat-Place heißt.
Allmählich wurde die Landschaft hügeliger, wenn auch nicht gerade bergig. Schließlich fiel die Straße leicht ab und erreichte Warm Springs. Seit Jahren verspürte ich das Bedürfnis, diese Stadt kennen zu lernen. Ich weiß selbst nicht, warum. Franklin Roosevelt war dort gestorben. Das war alles, was ich von Warm Springs wusste. Im Hauptkorridor des Gebäudes von Register
and Tribune in Des Moines hingen Titelseiten alter Tageszeitungen, die mich als kleinen Jungen seltsam fasziniert hatten. Auf einer der Seiten hieß es: »Präsident Roosevelt in Warm Springs gestorben«. Schon damals dachte ich, hinter einem solchen Namen müsse sich ein hübsches Städtchen verbergen, ein Ort, wo es sich gut sterben ließ.
Warm Springs war tatsächlich ein hübsches Städtchen. An seiner Hauptstraße standen ein altes Hotel auf der einen und eine Reihe von Geschäften auf der anderen Seite. Alle Geschäfte waren restauriert und beherbergten teure Boutiquen und Souvenirläden für die Besucher aus Atlanta. Sogar auf den Gehsteigen wurde man mit Musik berieselt. Alles wirkte irgendwie unnatürlich, aber mir gefiel es.
Ich fuhr zum Little White House, etwa zwei Meilen außerhalb der Stadt. Auf dem Parkplatz stand nur ein alter Bus, aus dem scharenweise alte Leute stiegen. Der Bus gehörte der Cavary Baptist Church von Firecracker, Georgia, oder Bareassed, Alabama, oder einem ähnlichen Kaff. Die alten Leute waren so lärmig und aufgeregt wie Schulkinder. Sie drängelten sich vor mir an die Kasse, nicht ahnend, dass ich auch bei einem älteren Menschen nicht davor zurückschrecken würde, ihn beiseite zu schubsen, schon gar nicht, wenn es sich um einen Baptisten handelt. Doch ich lächelte nur gütig und ließ ihnen den Vortritt.
Ich kaufte eine Eintrittskarte und überholte die alten Leute kurz darauf an einem Hang, über den der Weg zu Roosevelts Haus führte. Der Weg wand sich durch einen Wald aus riesigen Kiefern. Die Bäume schienen ins Unermessliche zu wachsen und ließen nicht einen Sonnenstrahl hindurch, so dass der Boden zu ihren Füßen so nackt war, als hätte man ihn soeben gefegt. Zu beiden Seiten des Weges lagen Felsbrocken. Jeder Felsen stammte aus einem anderen Staat. Anscheinend hatte man jeden Gouverneur um einen Beitrag in Form eines Gesteinsbrockens aus seinem Staat gebeten. Und hier lagen sie nun, aufgereiht wie die Soldaten einer Ehrengarde. Eine so blödsinnige
Idee wird wohl nur selten in die Tat umgesetzt. Oft hatte man das Gestein in die Form des jeweiligen Staates gehauen und anschließend auf Hochglanz poliert. Aber auch unbearbeitete Brocken waren darunter, nur mit einer kleinen Tafel und der lapidaren Inschrift »Delaware. Granit.« versehen. Diese Staaten hatten den Sinn des Unternehmens offensichtlich nicht verstanden. Iowas Beitrag gehörte, wie erwartet, in die Kategorie »mittelmäßig«. Der Stein präsentierte sich in der Form seines Heimatstaates, allerdings musste ihn jemand bearbeitet haben, der nie zuvor mit einer solchen Aufgabe betraut worden war. Vermutlich hatte er das preisgünstigste Angebot gemacht und war selbst überrascht, als er den Auftrag bekam. Wenigstens hatte Iowa einen Stein für diesen Zweck auserkoren. Ich hatte schon befürchtet, sie hätten einen Klumpen Erde geschickt.
Von dieser ungewöhnlichen Steinsammlung führte der Weg zu einem weißen Haus mit flachem Dach. Einst lebten dort Nachbarn der Roosevelts. Heute dient das Haus als Museum. Wie alle amerikanischen Museen dieser Art war es gut gemacht und interessant. Fotos von Roosevelt in Warm Springs bedeckten die Wände, während hinter Glas jede Menge persönliche Dinge zu sehen waren – seine Rollstühle, seine Krücken, Stützapparate und andere Geräte dieser Art. Die oft erstaunlich kunstvoll verzierten Ausstellungsstücke erweckten ein morbides Interesse, denn F. D. R.
Weitere Kostenlose Bücher