Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Des Moines. Dort gab es nämlich eine Klimaanlage. Wir stellten Dinge
an, für die ich mich heute schäme. Wir öffneten die Unterseiten von Mehltüten und beobachteten, wie sich das Mehl über den Boden ergoss, wenn eine Frau die Tüte nichts ahnend aus dem Regal nahm, oder mischten seltsame Artikel wie Goldfischfutter und Brechmittel unter die Lebensmittel in den Einkaufswagen der Leute, sobald die uns den Rücken kehrten. Ich hatte nicht die Absicht, derartigen Unfug nun bei A&P zu treiben – vorausgesetzt, ich würde mich dort nicht allzu sehr langweilen. Ich hoffte lediglich, es könnte irgendwie tröstlich sein, an einem Ort wie diesem auf Nahrungsmittel aus meiner Jugendzeit zu stoßen. Und das war es auch. Es war fast, als träfe ich alte Freunde wieder – Skippy-Erdnussbutter, Pop-Obsttörtchen, Welch’s Grapefruitsaft, Sara-Lee-Kuchen. Ich wanderte durch die Gänge und stieß beim Anblick altbekannter Lebensmittel leise Freudenschreie aus. Das Ganze heiterte mich unvorstellbar auf.
Dann fiel mir plötzlich etwas ein. Vor Monaten, noch in England, war mir im New York Times Magazine eine Werbung für Slipeinlagen aufgefallen. Diese Slipeinlagen hatten Vertiefungen, die ihrerseits einen eigenen, als Warenzeichen eingetragenen Namen hatten. Das fand ich bemerkenswert. Können Sie sich vorstellen, Ihren Lebensunterhalt mit dem Erfinden eingängiger Namen für die Vertiefungen einer Slipeinlage zu verdienen? Leider konnte ich mich nicht an den Namen erinnern. Die Langeweile trieb mich also in die Abteilung für Slipeinlagen, wo ich vor einem erstaunlich vielfältigen Angebot stand. Eine so umfangreiche Auswahl hatte ich nicht erwartet. Wer hätte gedacht, dass in Bryson City so viele Damenslips des Schutzes bedurften. Bisher hatte ich diesem Thema kaum Beachtung geschenkt, doch nun war mein Interesse geweckt.
Ich weiß nicht, wie lange ich in den Regalen herumgestöbert und die Gebrauchsanweisungen der verschiedenen Marken studiert habe. Vermutlich eine ganze Weile. Vielleicht hatte ich sogar angefangen, mit mir selbst zu reden, wie ich das manchmal tue, wenn ich mit Herz und Seele bei der Sache bin. Als ich
dann jedenfalls auf eine Packung New Freedom Thins mit Funnel-Dot Protection™ stieß und mir im Triumph der Ausruf »Aha! Hab ich euch endlich, ihr kleinen Scheißdinger!« entwich, sah ich im Augenwinkel., wie mich der Manager und zwei Verkäuferinnen vom anderen Ende des Ganges beobachteten. Mir stieg die Schamröte ins Gesicht. Ungeschickt stopfte ich die Packung ins Regal zurück. »Ich seh mich nur um!«, brachte ich wenig überzeugend heraus und hoffte, einen nicht allzu gemeingefährlichen oder geisteskranken Eindruck zu machen. Schleunigst begab ich mich in Richtung Ausgang. Mir fiel ein, dass ich einige Wochen zuvor im The Independent (die lebendigste der seriösen Tageszeitungen Großbritanniens – Sie sollten umgehend ein Exemplar anfordern!) gelesen hatte, dass Heterosexuellen in zwanzig US-amerikanischen Staaten, die meisten davon im Tiefen Süden, jeglicher Oral-oder Analverkehr bis heute per Gesetz verboten ist. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich hatte nichts dergleichen im Sinn. Ich will damit vielmehr sagen, dass man in einigen dieser Orte mit einer verbissenen Intoleranz in sexuellen Dingen rechnen muss. Demnach war nicht auszuschließen, dass dort auch Gesetzesparagrafen existierten, die den gesetzwidrigen Umgang mit Slipeinlagen unter Strafe stellten. In einem Teil der Welt wie North Carolina konnte ich wegen fahrlässiger Perversion ohne weiteres fünf bis zehn Tage in den Knast wandern. Umso glücklicher war ich, als ich, ohne von den Behörden abgefangen zu werden, mein Motel erreichte. Während der restlichen Zeit meines kurzen Aufenthaltes in Bryson City verhielt ich mich äußerst umsichtig.
Der Great Smoky Mountains National Park bedeckt eine Fläche von über 200 000 Hektar in North Carolina und Tennessee. Erst seitdem ich dort war, weiß ich, dass er der beliebteste aller amerikanischen Nationalparks ist. Jedes Jahr lockt er neun Millionen Besucher an, dreimal mehr als jeder andere Nationalpark. Selbst früh an diesem Sonntagmorgen im Oktober wimmelte es
von Menschen. Entlang der Straße von Bryson City nach Cherokee am Rande des Parks lagen Motels, heruntergewirtschaftete Autowerkstätten, Stellplätze für Lkw-Anhänger und Imbissbuden über das Ufer des funkelnden Flusses verteilt. Zu beiden Seiten stiegen dunkel die Berge auf. Früher einmal muss es hier sehr
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