Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
man diese Leute um ihre Fahrzeuge stehen, eifrig damit beschäftigt, ihre neuesten Errungenschaften zu vergleichen – von Methangas betriebene Eiswürfelmaschinen, tragbare Tennisplätze, insektenvernichtende Flammenwerfer, aufblasbare Rasenflächen. Es sind merkwürdige und gefährliche Menschen, um die man einen großen Bogen machen sollte.
Am Fuß der Berge endete der Nationalpark, und sofort bot das Land wieder einen verwahrlosten Anblick. Einmal mehr verblüffte mich diese Zweiteilung, die man in Amerika praktizierte – auf der einen Seite verbietet man innerhalb eines Nationalparks
jeglichen Kommerz, während man tatenlos zusieht, wie vor seiner Haustür die hemmungslose Profitgier wütet, obwohl die Landschaft dort nicht weniger reizvoll sein mag. Amerika hat bis heute nicht begriffen, dass man an einem Ort leben kann, ohne ihn zu verunstalten, dass die Schönheit der Natur nicht hinter Zäune gehört, als wäre ein Nationalpark so etwas wie ein Zoo.
Im Laufe der Fahrt nahm die Hässlichkeit ungeahnte Ausmaße an. Ich erreichte Gatlinburg, eine Gemeinde, die sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hatte, alle Rekorde des schlechten Geschmacks zu brechen. Ich befand mich in der Welthauptstadt der Scheußlichkeiten. Cherokee war dagegen geradezu manierlich. Die Stadt bestand aus wenig mehr als einer einzigen meilenlangen Hauptstraße, von vorne bis hinten voll gestopft mit einer verschwenderischen Fülle von Touristenattraktionen. Hier stand alles beieinander – die Elvis Presley Hall of Fame, das Stars Over Gatlinburg Wax Museum, zwei Spukhäuser, das National Bible Museum, das Hillbilly Village, Ripley’s Believe It or Not Museum, das American Historical Wax Museum, etwas Undefinierbares mit dem Namen Paradise Island, etwas noch Undefinierbareres mit dem Namen World of Illusions, die Bonnie Lou And Buster Country Music Show, Carbo’s Police Museum (»mit ›Walking Tall‹, dem Todesauto von Sheriff Buford Pusser«), das Guinness Book of Records Exhibition Centre und, nicht zu vergessen, das Irlene Mandrell Hall of Stars Museum und Einkaufszentrum. Unter das Riesenaufgebot an Attraktionen mischten sich Dutzende von Parkplätzen, laute, überfüllte Restaurants, Fastfood-Stände, Eisdielen und jede Menge Souvenirläden, in denen man Poster mit der Aufschrift WANTED erstehen konnte, um dann seinen eigenen Namen darauf zu setzen, oder lustige Baseballmützen mit einem echt wirkenden Plastikfäkalienkringel auf dem Schirm. Scharen übergewichtiger Touristen in schriller Kleidung, mit vor den Bäuchen baumelnden Kameras, schoben sich gemächlich die Straße entlang,
schleckten Eiskrem, Zuckerwatte oder Maiskolben und manchmal auch alles auf einmal. Und auf den Schirmen ihrer Baseballmützen wippte keck ein Plastikkringel.
Ich fand’s herrlich. Früher sind wir nie in Städte wie Gatlinburg gefahren. Mein Vater hätte sich eher einer Gehirnoperation mit einer Black-&-Decker-Schlagbohrmaschine unterzogen, als eine Stunde an einem solchen Ort zu verbringen. Um seinen Ansprüchen gerecht zu werden, musste ein Ferienvergnügen zwei Voraussetzungen erfüllen: Es musste pädagogisch wertvoll sein und durfte nichts kosten. Auf Gatlinburg traf weder das eine noch das andere zu. Die idealen Sehenswürdigkeiten waren für ihn Museen mit freiem Eintritt. Mein Dad war der anständigste Mensch, der mir je begegnet ist, aber in den Ferien machten seine Prinzipien ihn blind. Nur um einen Dollar Eintrittsgeld zu sparen, behauptete er noch immer hartnäckig, ich wäre acht Jahre alt, als mein Gesicht schon von Pickeln übersät war und an meinem Kinn die ersten Stoppeln wuchsen. Im Urlaub war er so übertrieben knauserig, dass es mich jedes Mal wunderte, dass er uns nicht zu irgendwelchen Abfalleimern auf Nahrungssuche schickte, wenn uns der Magen knurrte. Daher empfand ich Gatlinburg als berauschendes Erlebnis. Ich fühlte mich wie ein Priester, den man in Las Vegas mit den Taschen voller Vierteldollarmünzen auf die Menschheit loslässt. All die Geräusche, all der Glamour und vor allem die Tausenden von Möglichkeiten, innerhalb kürzester Zeit Unmengen von Geld zu verjubeln, versetzten mich in einen wahren Rauschzustand.
Ich bahnte mir den Weg durch die Menschenmenge und blieb zögernd vor dem Eingang von Ripley’s Believe It Or Not Museum stehen. Während ich mir die Plakate ansah, spürte ich förmlich, wie mein Vater in seinem tausend Meilen entfernten Grab unruhig wurde. Den Plakaten entnahm ich, dass es hinter den
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