Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
wandern.
Der Oconaluftee Highway durchquert den Park auf einer Länge von nur dreißig Meilen, windet sich aber so steil und kurvenreich durch die Berge, dass die Fahrt den ganzen Vormittag dauerte. Gegen 10.00 Uhr strömte der Verkehr in beiden Richtungen bereits ununterbrochen. An den Aussichtspunkten einen freien Parkplatz zu finden, wurde immer schwieriger. Dies war mein erster ernsthafter Zusammenstoß mit echten Touristen – Rentner mit ihren Wohnwagen auf dem Weg nach Florida, junge Familien, die nicht an die Schulferien gebunden waren, Hochzeitsreisende. Mir begegneten Pkw’s und Wohnwagen, Wohnmobile und Motor Homes aus Tausenden von Meilen entfernten Staaten – aus Kalifornien, Wyoming, British Columbia. Und an jedem Aussichtspunkt scharten sich die Leute um ihre Fahrzeuge, sperrten Türen und Kofferräume auf und verzehrten den Inhalt ihrer Kühltaschen oder tragbaren Kühlschränke. Alle paar hundert Meter parkte ein wuchtiges Winnebago oder Komfort-Motor-Home – komplette Eigenheime auf Rädern, die gleich drei Parkplätze füllten und so weit auf die Fahrbahn ragten, dass sich die ankommenden Autos nur mit Mühe an ihnen vorbeizwängen konnten.
Die ganze Zeit hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass hier irgendetwas
fehlte. Schließlich kam ich drauf. Es gab keine Wanderer, wie man sie in England treffen würde – in kurzen Hosen, mit festem Schuhwerk, knielangen Strümpfen mit Troddeln daran und kleinen Rucksäcken voller Marmite Sandwiches und mit Tee gefüllten Thermosflaschen. Auch die Pulks von Radfahrern in hautenger Kleidung, die sich keuchend über die Berghänge quälten und den Verkehr aufhielten, gab es hier nicht. In den Smoky Mountains waren es die klobigen Motor Homes, die den Verkehr aufhielten. Einige zogen einen an ihrer Stoßstange vertäuten Pkw wie ein Beiboot hinter sich her. Ein solches Gefährt hatte ich auf der gesamten Strecke die Berge hinunter bis weit hinter die Grenze von Tennessee vor mir. Es war so breit, dass der Fahrer es kaum in der Spur halten konnte. Ständig drohte es, entgegenkommende Fahrzeuge in die malerischen Abgründe links der Straße zu stupsen.
So sieht heutzutage leider für viele Menschen der Ferienalltag aus. Dahinter steckt das Prinzip, sich allzeit und allerorten mit dem gewohnten Komfort zu umgeben – und so wenig frische Luft wie möglich zu atmen. Wen die Reiselust packt, der klettert in seinen dreizehn Tonnen schweren Blechpalast, fährt 400 Meilen quer durchs Land, hermetisch abgeriegelt von den Naturelementen, und steuert einen Campingplatz an, wo er als Erstes sein fahrbares Heim an das Stromnetz und die Wasserversorgung anschließt, um nur nicht eine Minute länger als nötig ohne Klimaanlage, ohne Geschirrspüler oder Mikrowelle auskommen zu müssen. Diese rollenden Eigenheime sind wie Lebenserhaltungssysteme auf Rädern. Astronauten fliegen mit weniger überlebenstechnischen Hilfsmitteln zum Mond. Die Besitzer von Wohnmobilen vertreten einen anderen, in dieser Hinsicht meistens noch verrückteren Menschenschlag. Wie besessen statten sie ihr Fahrzeug mit den verschiedensten Vorrichtungen aus, um gegen alle erdenklichen Eventualitäten gewappnet zu sein. Ihr Leben wird mehr und mehr von dem Furcht erregenden Gedanken beherrscht, sie könnten eines Tages
in eine Notsituation geraten und nicht in der Lage sein, sich ohne fremde Hilfe aus ihr zu befreien. Vor Jahren wollte ich zusammen mit einem Freund zwei Tage am Lake Darling in Iowa zelten. Bevor wir aufbrechen konnten, versuchte der Vater meines Freundes – begeisterter Besitzer eines Wohnmobils –, uns hartnäckig die verschiedensten hilfreichen Dinge aufzudrängen. »Ich habe hier einen famosen, kleinen Solardosenöffner«, sagte er. »Wollt ihr den nicht mitnehmen?«
»Nein danke. Wir sind ja nur zwei Tage weg«, entgegneten wir.
»Wie wär’s denn mit dieser Kombination aus Taschenlampe und Tranchiermesser? Ihr könnt das Gerät am Zigarettenanzünder im Auto anschließen und damit SOS blinken, wenn ihr euch in der Wildnis mal verfahren solltet.«
»Nein danke.«
»Dann nehmt wenigstens diese batteriebetriebene Mikrowelle mit.«
»Nein, wirklich, wir brauchen nichts.«
»Und wie zum Teufel wollt ihr euch da draußen, am Arsch der Welt, Popcorn machen? Habt ihr euch darüber mal Gedanken gemacht?«
Ein ganzer Industriezweig lebt von diesem Absatzmarkt (und die New Yorker Zwingle Company mischt dabei zweifellos kräftig mit). Auf den Campingplätzen des ganzen Landes sieht
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