Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Mauern dieses Museums einen Mann zu bestaunen gab, in dessen Mund drei Billardkugeln gleichzeitig hineinpassten. Außerdem wartete ein Kalb mit zwei Köpfen, ein menschliches
Einhorn und Hunderte ebenso faszinierender Absonderlichkeiten auf den Besucher. Der unermüdliche Robert Ripley hatte sie aus allen Teilen der Welt zusammengetragen und zur Freude kultivierter Touristen wie mich nach Gatlinburg geschafft. Der Eintritt betrug fünf Dollar. Als ich meine Brieftasche zückte, begann mein Vater, sich vor lauter Empörung im Grabe umzudrehen. Während ich dann eine Fünfdollarnote herauszog und sie mit schuldbewusster Miene der unsympathischen Kassiererin überreichte, rotierte er bereits mit Schwindel erregender Geschwindigkeit. »Verflixt nochmal«, dachte ich, als ich das Museum betrat, »auf diese Weise kriegt der alte Mann wenigstens etwas Bewegung.«
Das Museum war ausgezeichnet. Mir ist schon klar, dass fünf Mäuse eine Menge Geld sind für ein paar Minuten Zerstreuung. Ich sah es vor mir, wie mein Vater und ich uns draußen vor dem Eingang in den Haaren lagen. Mein Vater würde sagen: »Kommt nicht in Frage. Das ist doch Halsabschneiderei! Für das Geld kannst du dir etwas anschaffen, wovon du dein Leben lang was hast.«
»Eine Packung Teppichfliesen, oder was?«, würde ich mit geschultem Sarkasmus kontern. »Oh, bitte, Dad, sei doch dieses eine Mal nicht so geizig. Da drin ist ein Kalb mit zwei Köpfen.«
»Nein, Sohn, tut mir Leid.«
»Ich werd auch immer brav sein. Ich werde jeden Tag den Müll rausbringen, so lange, bis ich verheiratet bin. Dad, da drin ist ein Typ, der kann drei Billardkugeln auf einmal in den Mund stecken. Da ist ein menschliches Einhorn drin. So was bekommt man nur einmal im Leben zu sehen.«
Doch er würde sich nicht umstimmen lassen. »Ich will davon nichts mehr hören. Wir werden jetzt alle ins Auto steigen und die 175 Meilen zum Molasses Point Historical Battlefield fahren. Da werdet ihr eine Menge über den Krieg von 1802 zwischen Amerika und Ecuador lernen, und das kostet mich nicht einen Penny.«
Nun sah ich mir jedenfalls Ripley’s Believe It Or Not Museum an und genoss jedes einzelne Ausstellungsstück und jede Geschmacklosigkeit. Es war außerordentlich interessant. Ja, wirklich. Wo sonst hat man Gelegenheit, eine ausschließlich aus Hühnerknochen bestehende Kopie des Flaggschiffs von Kolumbus, der Santa Maria, zu sehen? Oder ein aus Würfelzucker errichtetes, knapp zweieinhalb Meter langes Modell des Circus Maximus oder die Totenmaske von John Dillinger oder ein Zimmer, das einzig und allein aus Streichhölzern gebaut worden war, und zwar von einem gewissen Reg Polland aus Manchester, England (gut gemacht, Reg; Großbritannien ist stolz auf dich)? Es handelt sich hier um Dinge von bleibendem Erinnerungswert. Erfreut stellte ich fest, dass England zudem mit einer etwa aus dem Jahr 1940 datierenden Schornsteinkappe vertreten war. Ob Sie’s glauben oder nicht. Believe it or not. Es war einfach wunderbar – sauber, gut präsentiert, manchmal sogar glaubwürdig. Ich verbrachte dort eine glückliche Stunde.
Hochzufrieden kaufte ich mir anschließend eine Portion Eiskrem, so groß wie ein Babykopf, und bummelte in der Nachmittagssonne durch die Menschenmassen. Ich ging in eine Reihe von Souvenirläden und probierte Baseballmützen mit Plastikkringeln auf. Doch die billigste, die ich finden konnte, kostete 7,99 Dollar. Aus Respekt vor meinem Vater beschloss ich, dass das für einen Nachmittag des Guten zu viel sei. Zur Not könnte ich mir auch selber eine basteln, dachte ich, während ich zum Auto zurückkehrte, um Kurs auf die gefahrvollen Berge von Appalachia zu nehmen.
10
Im Jahr 1587 legte ein Schiff mit 115 Männern, Frauen und Kindern an Bord im Hafen von Plymouth ab. Die englischen Siedler verließen ihre Heimat, um auf Roanoke Island, eine Insel, die heute zu North Carolina gehört, die erste Kolonie in der Neuen Welt zu gründen: Kurz nach ihrer Ankunft wurde ein Kind namens Virginia Dare geboren – der erste weißhäutige Mensch, der in Amerika das Licht der Welt erblickte. Zwei Jahre später brach eine zweite Expedition von England aus auf. Der Trupp sollte in Erfahrung bringen, wie es den Siedlern ergangen war, ihnen ihre Post zustellen und die frohe Botschaft verkünden, dass der Kundendienst der British Telecom sich nun endlich an die Arbeit gemacht hatte, und dergleichen mehr. Doch als die Abgesandten an Land gingen, fanden sie die Siedlung verlassen
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