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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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leben im Großraum Washington über fünf Millionen Menschen. Die Stadt selbst ist recht klein und hat nur 637 000 Einwohner, weniger als Indianapolis oder San Antonio. Man fühlt sich in eine nette Provinzstadt versetzt. Biegt man dann aber um eine Straßenecke und steht plötzlich vor dem Hauptquartier des FBI oder der Weltbank oder des IWF, begreift man erst, welch eine bedeutende Stadt man vor sich hat. Die überraschendste dieser Entdeckungen ist das Weiße Haus. Da bummelt man durch Downtown, sieht sich die Schaufenster der Warenhäuser an, stöbert zwischen Halstüchern und Negligés herum, biegt um eine Straßenecke und steht plötzlich davor. Da steht es, mitten in Downtown – das Weiße Haus. Wie günstig gelegen für einen Einkaufsbummel, dachte ich. Es ist kleiner als erwartet. Das sagen alle.
    An der gegenüberliegenden Straßenseite versammeln sich zu jeder Tages- und Nachtzeit Leute, die sich der herrschenden
Klasse entfremdet haben. Und Verrückte, die dagegen protestieren, dass die CIA aus dem Weltall ihre Gedanken kontrolliert, haben sich in Pappkartons häuslich niedergelassen. Auch ein Bettler befand sich unter ihnen. Ist das nicht unglaublich? Mitten in der Hauptstadt der Nation, fast unmittelbar vor dem Schlafzimmerfenster von Nancy Reagan!
    Washingtons reizvollste Besonderheit ist die Mall, eine ausgedehnte Parkanlage, die sich über etwa eine Meile vom Kapitol im Osten bis zum Lincoln Memorial und dem Potomac River im Westen erstreckt. Herausragendes Kennzeichen der Mail ist das Washington Monument. Schlank erhebt sich der weiße, wie ein Bleistift geformte Obelisk 169 Meter hoch über die Parklandschaft. Er ist eines der schlichtesten und doch schönsten Bauwerke seiner Art und wirkt umso beeindruckender, wenn man sich vor Augen hält, dass die massiven Steinblöcke von sumerischen Sklaven auf hölzernen Rädern vom Nildelta hierher transportiert werden mussten. Verzeihung, da war ich wohl in Gedanken bei den Pyramiden von Giseh. Wie dem auch sei, der Obelisk ist ein architektonisches Meisterwerk und eine wahre Augenweide. Ich hatte gehofft, hinaufsteigen zu können, doch eine lange Reihe wartender Menschen, zumeist unruhige Schulkinder, schlängelte sich zu seinen Füßen durch den Park. Alle warteten darauf, einen Aufzug von der Größe einer Telefonzelle zu stürmen. Ich machte einen Rückzieher und wandte mich dem Capitol Hill im Osten zu.
    Entlang der Ostseite der Mall verteilen sich die zahlreichen Museen der Smithsonian Institution – das Museum of American History, das Museum of Natural History, das Air and Space Museum und so weiter. Die Sammlung des Smithsonian – übrigens das Geschenk eines Engländers, der niemals amerikanischen Boden betreten hat – war ursprünglich in nur einem Gebäude untergebracht. Dann ging man dazu über, die Sammlung aufzuteilen und für die verschiedenen Abteilungen in der ganzen Stadt neue Gebäude zu errichten, so dass es heute vierzehn
Smithsonian-Museen gibt. Die größten gruppieren sich rund um die Mall, während sich die kleineren Museen in anderen Teilen der Stadt befinden. Die Erweiterung wurde erforderlich, da das Smithsonian jedes Jahr rund eine Million Ausstellungsstücke erwirbt. Allein im Jahr 1986 bestanden die Neuerwerbungen unter anderem aus 10 000 Nachtfaltern und Schmetterlingen aus Skandinavien, dem gesamten Postarchiv der Panama Canal Zone, einem Teil der alten Brooklyn Bridge und einem Düsenjäger vom Typ MG-25. Einst beherbergte ein wunderschönes gotisches Bauwerk, das Castle, all diese Schätze. Heute dient das auf der Mall gelegene Castle als Verwaltungsgebäude. Interessierten zeigt man dort auch einen Einführungsfilm.
    Inzwischen hatte ich das Castle fast erreicht. Im Park wimmelte es von Joggern, was mir ein wenig Sorge bereitete. Sollten sich diese Leute um diese Zeit nicht um die Belange der Nation kümmern oder sich zumindest damit beschäftigen, die Regierung eines zentralamerikanischen Landes zu destabilisieren? Was ich sagen will: Hat ein normaler Mensch an einem Mittwochmorgen um 10.30 Uhr nichts Sinnvolleres zu tun, als sich ein Paar Reeboks anzuziehen und fünfundvierzig Minuten durch die Gegend zu rennen?
    Am Castle fand ich den Eingangsbereich mit hölzernen Barrikaden versperrt. Amerikanische und japanische Sicherheitsbeamte in dunklen Anzügen liefen umher; und alle sahen sie aus, als würden sie regelmäßig joggen. Einige trugen Kopfhörer und sprachen in Funkgeräte. Andere führten Hunde an langen

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