Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Minuten selbst als so etwas wie einen Experten auf diesem Gebiet betrachten konnte. So verging der Vormittag.
Ich fuhr nach Gettysburg, wo im Juli 1863 die Schlacht stattgefunden hatte, die den amerikanischen Bürgerkrieg entschied. Während der drei Tage dauernden Gefechte starben über 50 000 Menschen. Ich parkte am Visitors’ Centre und ging hinein. Darin befand sich ein kleines, schummriges Museum, in dessen Schaukästen Kanonenkugeln, Messingknöpfe, Gürtelschnallen und dergleichen mehr zu sehen waren. Neben jedem einzelnen Ausstellungsstück lag ein vergilbtes Stück Papier mit der Aufschrift: »Schnalle einer Uniform des 13. Regiments der Tennessee Mountaineers. Gefunden von Festus T. Scrubbins, einheimischer Farmer. Eine freundliche Spende seiner Tochter, Mrs. Marienetta Stumpy.« Kaum etwas vermittelte einen Eindruck von der Schlacht selbst. Das ganze Sammelsurium erinnerte eher an die Ausbeute einer Schatzsuche.
Eine der interessanteren Vitrinen war der Gettysburg Address gewidmet und klärte mich darüber auf, dass diese Rede ursprünglich gar nicht geplant war. Man hatte Lincoln lediglich beiläufig eingeladen, eine Ansprache zu halten, und jedermann war erstaunt, als er der Einladung folgte. Die Rede bestand aus nur zehn Sätzen und dauerte ganze zwei Minuten. Außerdem erfuhr ich, dass Lincoln sie erst mehrere Monate nach der Schlacht gehalten hatte. Ich bin immer davon ausgegangen, dass er seine denkwürdigen Worte mehr oder weniger direkt nach den Kämpfen gesprochen hatte, vor der Kulisse verstreut herumliegender Leichen und Rauchsäulen, die in der Ferne aus den Ruinen der Häuser stiegen, während Leute wie Festus T. Scrubbins zwischen den noch zuckenden Opfern des Gemetzels herumstöberten und nach brauchbaren Souvenirs Ausschau hielten. Die Wahrheit war, wie so oft im Leben, enttäuschend.
Ich verließ das Visitors’ Centre und sah mir das Schlachtfeld an. Es erstreckt sich über knapp 1500 Hektar überwiegend flachen Landes am Rande der Stadt Gettysburg und all ihren Tankstellen und Motels. Wie alle historischen Schlachtfelder bestand es
aus nicht viel mehr als Landschaft. Es gab kaum etwas, das dieses Stück Erde von einem anderen unterschied. Man musste den Worten der Experten vertrauen und einfach glauben, dass hier eine große Schlacht stattgefunden hatte. Eine Menge Kanonen standen herum, das muss ich schon sagen. Entlang der Straße, die zu jener Stelle führt, an der die Konföderierten unter General Pickett zum entscheidenden Angriff übergegangen waren und die Wende zu Gunsten der Unionstruppen herbeiführten, hatten sich viele Regimenter Obelisken und Denkmäler zu ihrem Ruhm gesetzt. Über diese Straße schlenderte ich nun und verfolgte durch das alte Fernglas meines Vaters, wie Picketts Truppen von der Stadt her vorrückten und in etwa einer Meile Entfernung den Parkplatz von Burger King überquerten, das Tastee Delite Drive-In Restaurant hinter sich ließen und sich schließlich vor dem Crap-o-Rama-Wachsfigurenkabinett und Souvenirladen neu formierten. Es ist eine traurige Geschichte. Innerhalb einer Stunde fielen zehntausend Soldaten. Zwei von drei konföderierten Soldaten kehrten nicht in ihr Lager zurück. Dass weite Teile der Stadt Gettysburg heute mit Touristenquatsch überschwemmt sind, der selbst vom Schlachtfeld aus nicht zu übersehen ist, grenzt an ein Verbrechen.
Als ich klein war, kaufte mein Dad mir eine Mütze der Unionstruppen und ein Spielzeuggewehr und ließ mich auf dem Schlachtfeld herumtoben. Ich war im siebten Himmel. Den ganzen Tag streifte ich durch die Gegend, kauerte mich hinter Bäume, um dann Devils’ Den und Little Round Top zu erstürmen und Gruppen übergewichtiger Touristen mit Kameras um die Hälse in die Luft zu jagen. Auch Dad war im siebten Himmel, denn der Park kostete keinen Eintritt, und es gab buchstäblich Hunderte von historischen Gedenktafeln, die es zu lesen galt. Heute fiel es mir jedoch schwer, diesem Ort noch etwas Aufregendes abzugewinnen.
Ich war gerade im Begriff, mich wieder auf den Weg zu machen, und ärgerte mich, für nichts und wieder nichts so weit gefahren
zu sein, da entdeckte ich am Visitors’ Centre ein Schild, auf dem Besichtigungsfahrten zum Haus Eisenhowers angeboten wurden. Und mir fiel wieder ein, dass Ike und Mamie Eisenhower ja auf einer Farm vor den Toren von Gettysburg gelebt hatten. Ihr altes Haus war nun ein National Historical Monument und konnte für 2,50 Dollar besichtigt werden. Spontan kaufte ich
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