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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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eine Eintrittskarte und stieg in einen mit einem halben Dutzend Touristen gefüllten Bus, der soeben zu der vier oder fünf Meilen entfernten Farm aufbrach.
    Es war großartig. Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals in einem republikanischen Heim so wohl gefühlt zu haben. An der Tür wurden die Besucher von einer wohlriechenden Dame mit einer Chrysantheme über dem Busen empfangen. Sie informierte ein wenig über das Haus und erzählte, wie gern Ike und Mamie beieinander gesessen, ferngesehen und Kanasta gespielt haben, händigte dann jedem von uns eine Broschüre aus, die Wissenswertes über jedes Zimmer enthielt, und ließ uns anschließend das Haus auf eigene Faust erkunden. Jede Zimmertür war mit einer Scheibe Acrylglas versperrt, durch die man das Innere des Raumes betrachten konnte. Im Haus sah es aus wie zu Lebzeiten der Eisenhowers. Es schien, als wären sie einfach fortgegangen (wozu allerdings wohl keiner von beiden während ihrer letzten Lebensjahre mehr in der Lage gewesen wäre), um nie zurückzukommen. Die Einrichtung entsprach genau dem republikanischen Stil der sechziger Jahre. Das Haus war praktisch eine exakte Kopie unseres Nachbarhauses, des Heimes jener reichen Republikaner, die neben uns wohnten, als ich erwachsen wurde. Da gab es eine große Fernsehtruhe aus Mahagoni, aus Treibholzstücken zusammengesetzte Tischlampen, eine mit Leder gepolsterte Cocktailbar, in jedem Zimmer ein französisches Telefon und Bücherregale, die mit jeweils zirka zwölf Büchern und jeder Menge Porzellan gefüllt waren. Es war dieses geblümte Porzellan mit Goldrand, wie es die homosexuellen Aristokraten Frankreichs bevorzugten.

    Als die Eisenhowers das Grundstück 1950 kauften, stand dort ein 200 Jahre altes Bauernhaus. Das war jedoch so zugig und ächzte und knarrte in stürmischen Nächten dermaßen, dass sie es abreißen und durch das gegenwärtige Gebäude ersetzen ließen, das wiederum aussieht, als wäre es ein 200 Jahre altes Bauernhaus. Ist das nicht großartig? Ist das nicht durch und durch republikanisch? Ich war entzückt. In jedem Raum entdeckte ich Dinge, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte – Küchengeräte aus den sechziger Jahren, uralte Ausgaben des Life Magazine, tragbare Schwarzweißfernseher, metallene Wecker. Die Schlafzimmer im oberen Stock waren so, wie Ike und Mamie sie verlassen hatten. Auf Mamies Nachttisch lagen ihr Tagebuch, ihre Lesebrille, ihre Schlaftabletten. Und wetten, dass unterm Bett all ihre alten Ginflaschen herumkullerten?
    In Ikes Zimmer hatte man seinen Bademantel und seine Pantoffeln zurechtgelegt, und das Buch, in dem er an seinem Todestag gelesen hatte, lag aufgeschlagen auf einem Stuhl neben dem Bett. Es war das Buch – ich möchte Sie bitten, sich für einen Moment zu vergegenwärtigen, dass es sich hier um einen der wichtigsten Männer dieses Jahrhunderts handelt, um einen Mann, der während des Zweiten Weltkrieges ebenso wie während des Kalten Krieges zeitweise das Schicksal der Welt in seinen Händen hielt, um einen Mann, den die Columbia University zu ihrem Rektor erkoren hatte, um einen Mann, der zwei Generationen lang von den Republikanern verehrt worden war und der während meiner gesamten Kindheit das Sagen hatte – es war das Buch West of the Pecos von Zane Grey.

    Von Gettysburg fuhr ich nordwärts über die US 15 in Richtung Bloomsburg, wo seit kurzem mein Bruder mit seiner Familie wohnte. Jahrelang hatten sie auf Hawaii gelebt, in einem Haus mit Swimmingpool, in unmittelbarer Nähe tropischer Strände und rauschender Palmen, und dann, als sich mir Gelegenheit zu einer Reise nach Amerika bot und ich fahren konnte, wohin ich
wollte, hatten sie nichts Besseres zu tun, als in den Rust Belt , in den Rostgürtel Amerikas zu ziehen, in die industrialisierteste Region der Vereinigten Staaten. Doch Bloomsburg entpuppte sich als sehr nettes Städtchen – auch wenn Palmenstrände und hüftschwingende Hula-Hula-Mädchen dort eher Seltenheitswert hatten.
    Bloomsburg ist ein verschlafenes Collegestädtchen. Auf den ersten Blick möchte man meinen, Bademantel und Pantoffeln wären dort die adäquate Garderobe. Die Main Street wirkte wohlhabend und gepflegt, und die anliegenden Straßen waren überwiegend von großen, alten Häusern inmitten weitläufiger Rasenflächen gesäumt. Hier und da ragte ein Kirchturm aus Unmengen von Bäumen. Es war in vieler Hinsicht eine ideale Stadt – einer der wenigen Orte in diesem Land, in denen man kein Auto brauchte. Die

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