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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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nichts Komischeres, als Freunden und Kollegen Ansichtskarten mit dem Poststempel von Intercourse und ein paar humorvollen Zeilen auf der Rückseite zu schicken.
    Viele Menschen sind so fasziniert von der Lebensweise der Amish, von der Idee, wie vor 200 Jahren zu leben, dass sie zu Millionen anrücken und sich die Augen aus dem Kopf gaffen. Als wir dort ankamen, wimmelte es in Intercourse von Hunderten und Aberhunderten von Touristen. Autos und Busse verstopften die Zufahrtsstraßen. Jedermann wollte mit eigenen Augen einen echten Amish sehen und fotografieren. Jährlich besuchen bis zu fünf Millionen Menschen das Lancaster County und all die palastartigen Souvenirläden, nachgebauten Farmen,
Wachsfigurenkabinette und Cafeterias, mit denen sich Geschäftsleute, die nicht zu den Amish gehören, die 350 Millionen Dollar an Land ziehen, die die Besucher Jahr für Jahr herbringen. Da es in diesen Städten heute kaum noch etwas für die Amish selbst zu kaufen gibt, lassen sie sich dort nicht mehr blicken. Und den Touristen bleibt nichts anderes übrig, als sich gegenseitig zu knipsen.
    Journalistische Reiseberichte und Filme wie Der einzige Zeuge täuschen leicht darüber hinweg, dass das Lancaster County mittlerweile zu den erbärmlichsten Regionen Amerikas zählt. Das gilt vor allem an Wochenenden, wenn sich zeitweise meilenlange Verkehrsstaus bilden. Viele Amish haben inzwischen aufgegeben und sind nach Iowa und ins nördliche Michigan gezogen, wo man sie in Ruhe lässt. Außerhalb der Ortschaften, insbesondere entlang den kleinen Landstraßen, begegnet man noch hin und wieder einigen Amish. Man sieht sie in ihrer dunklen Kleidung auf den Feldern arbeiten oder in ihren unverwechselbaren, schwarzen Einspännern über den Highway fahren, während sich hinter ihnen mit genervten Touristen besetzte Autos stauen, die nicht überholen können und eigentlich schon längst in Bird in Hand sein wollten, um noch ein paar funnel cakes und Sno-cones zu essen oder vielleicht ein schmiedeeisernes Weinregal oder einen Briefkasten mit eingebauter Wetterfahne zu erstehen, den sie dann ins heimische Fartville mitnehmen können. Es würde mich nicht wundern, wenn in zehn Jahren kein einziger Amish mehr im Lancaster County lebt. Es ist eine Schande. Man sollte den Leuten ihren Frieden lassen.
    Am Abend kehrten wir in einem der zahlreichen, über die ganze Region verteilten Pennsylvania Dutch Restaurants ein. Der Parkplatz quoll über von Bussen und Autos. Vor dem Eingang und im Gebäude selbst – überall standen wartende Menschen. Wir gingen hinein und ließen uns eine Wartenummer mit der Zahl 621 in die Hand drücken. Damit gesellten wir uns auf ein winziges Fleckchen Fußboden, das soeben eine andere
Gruppe wartender Gäste geräumt hatte. Im Abstand von wenigen Minuten erschien ein Mann in der Tür und rief eine Reihe von Nummern auf, die im Vergleich zu der unseren geradezu lächerlich niedrig waren – 220, 221, 222 –, woraufhin ihm etwa ein Dutzend Menschen in den Speisesaal folgte. Wir überlegten, ob wir nicht besser gehen sollten, doch eine Gruppe fettleibiger Leute neben uns riet uns zu bleiben, denn es lohne sich zu warten, selbst wenn es bis elf Uhr dauern sollte. Die Küche wäre ausgezeichnet, sagten sie. Unverkennbar hatten sie auf diesem Gebiet einige Erfahrung. Und sie hatten Recht.
    Schließlich wurde auch unsere Nummer aufgerufen, und zusammen mit neun anderen führte man uns in den Speisesaal und ließ uns alle miteinander an einem großen, auf Böcken stehenden Tisch Platz nehmen.
    In dem Saal müssen etwa fünfzig solcher Tische gestanden haben. An jedem einzelnen saß ein gutes Dutzend Menschen. Es herrschte hektische Unruhe und ein gewaltiger Lärm. Kellnerinnen mit riesigen Tabletts flitzten hin und her. Wohin man auch sah, überall schaufelten Menschen so emsig Essen in sich hinein, als hätten sie seit einer Woche keine Nahrung zu sich genommen. Unsere Kellnerin forderte uns auf, uns miteinander bekannt zu machen, was wir alle ziemlich albern fanden, und begann dann, riesige Platten und Schüsseln aufzutischen. Sie waren gefüllt mit Schinken in dicken Scheiben, mit Bergen von Brathähnchen, mit schaufelweise Kartoffelbrei, mit Gemüse aller Art, mit Brötchen, Suppen und Salaten. Es war unglaublich. Jeder bediente sich nach Herzenslust und hievte die Platte dann mit beiden Händen zu seinem Tischnachbarn hinüber. Man konnte sich nehmen, so viel man wollte. War eine Schüssel leer, brachte die Kellnerin die

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