Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Boutiquen und teurer Skihütten. Als ich während der folgenden Stunden auf dem Weg durch die Green Mountains von einem Wintersportort zum anderen fuhr, traf ich fast ausschließlich auf Reichtum und Schönheit – reiche Leute, luxuriöse Häuser, dicke Autos, feudale Ferienorte, schöne Landschaft. Beeindruckt ließ ich die Green Mountains hinter mir zurück und nahm Kurs auf den – ebenfalls außerordentlich schönen Lake Champlain, um die Fahrt dann entlang der Staatsgrenze von New York an der Westseite von Vermont fortzusetzen.
Südlich des Lake Champlain wurde die Landschaft offener, welliger, als wären die Ausläufer der Berge geebnet worden, als hätte jemand glättend darüber gestrichen wie über die krause Tagesdecke eines Bettes. Einige der Städtchen und Dörfer waren auffallend hübsch. Beispielsweise Dorset, ein um eine ovale Grünanlage angelegtes Städtchen mit schönen, weißen Schindelhäusern, einer Freilichtbühne, einer alten Kirche und einem großen Gasthaus. Und dennoch – irgendetwas störte mich an diesen Orten. Sie waren zu perfekt, zu reich, zu yuppiehaft. In Dorset gab es einen Bilderladen, der hieß Dorset Framery. Ein paar Meilen weiter, in Bennington, kam ich an einem Restaurant mit Namen Publyk House vorbei. Jedes Gasthaus und jede Herberge hatte einen ausgefallenen, bildhaften Namen – das Black Locust Inn, das Hob Knob, das Blueberry Inn, das Old Cutter Inn –, und ein hölzernes Schild baumelte vor jeder Tür. Über allem und jedem lag ein Hauch von gekünstelter Niedlichkeit,
der nach einer Weile seltsam bedrückend auf mich wirkte. Ich begann, mich nach ein bisschen Neon zu sehnen, nach einem Restaurant mit einem guten, alten Familiennamen – Ernie’s Chop House, Zweiker’s New York Grille – und blinkenden Bierreklamen in den Fenstern. Auch eine Kegelbahn oder ein Drive-in-Kino wären mir mehr als recht gewesen. Das hätte der ganzen Szenerie etwas Wirkliches verliehen. Doch so sah alles aus, als hätte man es in Manhattan entworfen und dann hierher verfrachtet. Eines dieser Dörfer hatte nur vier oder fünf Geschäfte. Eins davon war ein Ralph Lauren Polo Shop. Was gibt es Schlimmeres, als in einem Dorf zu wohnen, in dem man sich zwar für 200 Dollar ein Polohemd, aber nicht eine einzige Dose Bohnen kaufen kann? Aber dann fielen mir doch einige Dinge ein, die weitaus schlimmer waren als das – jede Folge einer Fernsehserie mit Joan Collins über sich ergehen zu lassen, mehr als zweimal im Jahr in einem Burger Chef essen zu müssen, mitten in der Nacht nach einem Glas Wasser zu greifen und dann festzustellen, dass man aus dem Glas mit dem Gebiss der Großmutter getrunken hat, und so weiter. Ich denke, Sie verstehen mich.
17
Ich übernachtete in Cobleskill, New York, am Nordrand der Catskills, und fuhr am nächsten Morgen weiter nach Cooperstown. Cooperstown ist ein kleiner Ferienort am Lake Otsego und war die Heimat von James Fenimore Cooper, dessen Familie er auch seinen Namen verdankt. Es war eine schöne Stadt, schöner und üppiger mit den Farben des Herbstes ausgestattet als irgendeine Stadt, die ich in New England gesehen hatte. Entlang der Hauptstraße standen stattliche Backsteingebäude, alte Banken, ein Kino und familienfreundliche Geschäfte. Der Cooperstown Diner, in dem ich frühstückte, war belebt, freundlich und preiswert – alles, was ein Speiselokal zu sein hat. Nach dem Frühstück machte ich einen Spaziergang durch die Wohnstra-ßen der Stadt. Mit den Händen in den Taschen schlurfte ich durch das trockene Laub zum See hinunter. Jedes Haus war alt und hübsch. Viele der größeren Häuser hatte man in Gasthäuser und teure Bed and Breakfast Inns umgewandelt. Die Morgensonne schien durch die Bäume und warf ihre Schatten auf Gärten und Gehsteige. Während der ganzen Reise hatte ich keine so hübsche Stadt gesehen. Es war fast Amalgam.
Aber auch Cooperstown hatte eine Schattenseite. Es wimmelte von Touristen, die von der Hauptattraktion der Stadt angezogen wurden – der Baseball Hall of Fame. Sie steht an einem schattigen Park am anderen Ende der Main Street. Auch ich begab mich nun dorthin, zahlte 8,50 Dollar Eintritt und trat ein in die kathedralengleiche Stille. Allen Baseball-Fans und dieser Sportart Unkundigen sei gesagt, dass ein Besuch in der Hall of
Fame praktisch einem religiösen Erlebnis gleichkommt. Andächtig wanderte ich durch die ruhigen, schwach beleuchteten Hallen und betrachtete die heiligen Gewänder und Reliquien des
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