Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Lieblingszeitvertreibs der amerikanischen Nation. In einem gläsernen Schaukasten lag bestens erhalten »das Hemd, das Warren Spahn trug, als er seinen 305. Treffer landete, wodurch er mit Eddie Plank als bestem Linkshänder gleichzog«. An der gegenüberliegenden Seite des Ganges befand sich »der Handschuh, den Sal Maglie am 25. September 1958 benutzte, Fänger gegen Phillies«. Vor jedem Kasten standen Menschen und sahen sich ehrfürchtig die Ausstellungsstücke an oder sprachen im Flüsterton miteinander.
In einem anderen Raum erinnerte eine Gemäldegalerie an die großen Momente in der Geschichte des Baseball. Eines der Bilder stellte das erste Spiel der Profiliga dar, das abends bei künstlicher Beleuchtung ausgetragen worden war. Es hatte am 2. Mai 1930 in Des Moines, Iowa, stattgefunden. Das waren aufregende Neuigkeiten für mich. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Des Moines sowohl in der Geschichte des Baseball als auch auf beleuchtungstechnischem Gebiet eine Vorreiterrolle gespielt hat. Ich sah mir das Bild genauer an, um festzustellen, ob mein Vater auf der Pressetribüne zu sehen war, bis mir dann einfiel, dass mein Vater 1930 erst fünfzehn Jahre alt war und noch in Winfield lebte. Schade. In einem der Räume im oberen Stockwerk entwich mir fast ein Freudenschrei, als ich in den Vitrinen die Baseballkarten erblickte, die mein Bruder und ich so gewissenhaft gesammelt und katalogisiert hatten und die meine Eltern in einem frühen Anflug von Senilität bei einem Frühjahrsputz im Jahre 1981 in den Müll geworfen hatten. Wir hatten die vollständige Serie von 1959 in tadellosem Zustand beisammen; sie wäre heute so um die 1500 Dollar wert. Wir hatten Mickey Mantle und Yogi Berra als Grünschnäbel und die kompletten Mannschaften der New York Yankees aus den Jahren 1956 bis 1962. Die ganze Sammlung muss zirka 8000 Dollar wert gewesen
sein – jedenfalls mehr als genug, um Mom und Dad für ein Weilchen zur Kur in eine Dementiaklinik zu schicken. Ist ja auch egal. Jeder macht mal einen Fehler. Nur weil alle Leute diese Dinge wegwerfen, werden sie so wertvoll für die wenigen Glücklichen, deren Eltern ihr Rentenalter nicht damit verbringen, all das Zeug aus dem Haus zu schaffen, das sich während ihres Arbeitslebens angesammelt hat. Trotz alledem war es ein Vergnügen, all die alten Karten wiederzusehen. Es war, als besuchte ich einen Freund im Krankenhaus.
Die Hall of Fame ist überraschend groß, viel größer, als es von der Straße den Anschein hat, und die Ausstellungen sind sehr anschaulich präsentiert. Voll und ganz zufrieden gestellt ging ich von Raum zu Raum, verweilte vor jedem Ausstellungsstück, las jeden Kommentar und durchlebte noch einmal meine von glücklicher Wehmut umwobene Jugend. Als ich wieder auf die Main Street hinaustrat und auf die Uhr sah, stellte ich erstaunt fest, dass drei Stunden vergangen waren. Neben der Hall of Fame befand sich ein Laden, in dem man die tollsten Baseball-Souvenirs kaufen konnte. Zu meiner Zeit gab es nichts als Wimpel und Baseballkarten und blöde, kleine, wie Schlaghölzer geformte Kugelschreiber, die schon den Geist aufgaben, wenn man zum zweiten Mal seinen Namen damit schreiben wollte. Heute dagegen kann ein kleiner Junge fast alles mit dem Emblem seiner Mannschaft darauf bekommen – Lampen, Handtücher, Uhren, Bettvorleger, Becher, Tagesdecken und sogar Weihnachtsbaumschmuck und außerdem natürlich Wimpel, Baseballkarten und Kugelschreiber, die nicht mehr funktionieren, wenn man sie ein zweites Mal benutzen will. Noch nie habe ich mich so sehr danach gesehnt, wieder ein Kind zu sein. Von allem anderen abgesehen, würde ich dann meine Baseballkarten wiederbekommen und könnte sie an einen sicheren Ort schaffen, wo meine Eltern nicht an sie herankämen. Hätte ich dann das richtige Alter erreicht, könnte ich mir einen Porsche kaufen.
Ich war so hingerissen von all den Souvenirs, dass ich begann,
mich damit zu beladen. Erst dann bemerkte ich die Bitte-nichtberühren-Schilder, die über den ganzen Laden verteilt waren. Auf dem Ladentisch hing neben der Registrierkasse ein Schild mit dem Hinweis »Nicht an das Glas lehnen! Wer es zerbricht, zahlt 50 Dollar!« Was für ein dämliches Schild! Wie kann man von Kindern erwarten, dass sie an einem solchen Ort voller wunderbarer Dinge nichts anfassen? Das brachte mich so aus der Fassung, dass ich meine beabsichtigten Neuanschaffungen auf den Ladentisch packte und dem Mädchen sagte, dass ich nach alledem nicht
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