Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
mehr daran interessiert sei. Vielleicht hat dabei auch eine Rolle gespielt, dass ich mir nicht hundertprozentig sicher war, ob meine Frau sich über St.-Louis-Cardinals-Kopfkissenbezüge freuen würde.
    Meine Eintrittskarte für die Hall of Fame berechtigte auch zum Besuch eines Museumsdorfes am Stadtrand, das Farmers Museum. Zu seinen Dutzenden von alten, gut erhaltenen Gebäuden zählten ein Schulhaus, eine Taverne, eine Kirche und dergleichen mehr. Das Ganze war ungefähr so aufregend, wie es sich anhört. Da ich aber nun einmal dafür bezahlt hatte, fühlte ich mich verpflichtet, es mir anzusehen. Zumindest der Spaziergang in der Nachmittagssonne war ein Vergnügen. Dennoch war ich froh, als ich wieder hinterm Steuer saß und den Wagen zurück auf die Straße lenkte. Es war bereits nach vier Uhr, als ich Cooperstown verließ. Und weiter ging’s, quer durch den Staat New York und das Susquehanna Valley, das im Übrigen sehr reizvoll war, vor allem in dem weichen Licht dieser Tages- und Jahreszeit. Ich fuhr durch eine Landschaft aus wassermelonenförmigen Bergen, goldenen Bäumen und verschlafenen Städtchen. Um die Zeit aufzuholen, die ich in Cooperstown verloren hatte, fuhr ich länger als gewöhnlich und hielt erst nach neun vor einem Motel vor den Toren von Elmira.
    Ich machte mich gleich wieder auf den Weg, um einen Happen zu essen, doch fast jedes Restaurant, an dem ich vorbeikam, war geschlossen. Ich landete schließlich in einem Lokal, das zu
einer Kegelbahn gehörte, womit ich eindeutig gegen Regel Nr. 3 der Bryson’schen Richtlinien zum Thema »Essengehen in einer unbekannten Kleinstadt« verstieß. Zwar lehne ich es im Allgemeinen ab, nach Prinzipien zu handeln – das ist so eine Art Prinzip von mir –, dennoch versuche ich, mich in puncto Essengehen an sechs grundsätzliche Regeln zu halten. Sie lauten:
Iss niemals in einem Restaurant, in dem Fotos der Gerichte ausgehängt sind. (Und falls doch, falle niemals auf diese Fotos herein.)
Iss niemals in einem Restaurant mit Velourstapete.
Iss niemals in einem Restaurant, das zu einer Kegelbahn gehört.
Iss niemals in einem Restaurant, in dem du hören kannst, worüber man in der Küche redet.
Iss niemals in einem Restaurant, in dem Musikbands auftreten, deren Namen einen der folgenden Bestandteile aufweisen: Hank, Rhythm, Swinger, Trio, Combo, Hawaiian, Polka.
Iss niemals in einem Restaurant mit Blutflecken an den Wänden.
    Letztendlich erwies sich das Restaurant der Kegelbahn als einigermaßen akzeptabel. Durch die Wände drang das gedämpfte Gepolter umfallender Kegel und das ausgelassene Gejohle der Friseure und Mechanikerlehrlinge von Elmira, die sich einen netten Abend machten. Im Restaurant war ich der einzige Gast. Genauer gesagt war ich das einzige Hindernis, das noch zwischen den Kellnerinnen und ihrem Feierabend lag. Wahrend ich auf mein Essen wartete, räumten sie die übrigen Tische ab und entfernten Aschenbecher, Zuckerdosen und Tischdecken, so dass ich kurz darauf bei flackerndem Kerzenschein an einem weiß gedeckten Tisch allein in diesem großen Raum saß, umgeben von einem Meer aus nackten Resopaltischplatten. Die Kellnerinnen standen an die Wand gelehnt und beobachteten, wie
ich meinen Teller leerte. Nach einer Weile fingen sie an zu tuscheln und zu kichern, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen, was mich, ehrlich gesagt, ein wenig verunsicherte. Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet, aber es kam mir so vor, als würde jemand kaum merklich das Licht abdrehen. Im Raum wurde es zunehmend dunkler, bis ich gegen Ende meiner Mahlzeit kaum mehr das Essen auf dem Teller sehen konnte. Um es ausfindig zu machen, musste ich suchend mit der Gabel herumstochern und gelegentlich meinen Kopf über den Teller beugen und meinem Geruchssinn folgen. Noch bevor ich ganz fertig war und nur eine kleine Pause einlegte, um nach meinem Glas Wasser irgendwo in der Dunkelheit außerhalb der Reichweite der flackernden Kerze zu tasten, kam eine Kellnerin, zog mir den Teller weg und hielt mir die Rechnung unter die Nase.
    »Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«, fragte sie in einem Ton, der mir nahe legte, eventuelle Wünsche lieber für mich zu behalten. »Nein danke«, antwortete ich höflich, wischte mir den Mund an der Tischdecke ab (die Serviette hatte ich in der Finsternis verloren) und erweiterte meine Liste um eine siebte Regel: Geh niemals zehn Minuten vor Toresschluss in ein Restaurant. Aber eine so miserable Bedienung hat auch ihre Vorteile. Es

Weitere Kostenlose Bücher