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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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brachte sie ein Set mit dem Topic-of-the-Town-Schriftzug, dann ein Glas Wasser, dann einen sauberen Aschenbecher und schließlich einen Korb mit in Cellophan verpackten Kräckern, und jedes Mal tauschten wir unsere Höflichkeitsfloskeln aus. Ich bestellte Brathähnchen. Während ich darauf wartete, wurde mir unangenehm bewusst, dass mich die Leute am Nachbartisch beobachteten und auf eine schwachsinnige Art und Weise zu mir herüberlächelten. Von der Küchentür aus beobachtete mich auch die Kellnerin. Das Ganze war ziemlich entnervend. Ständig kam sie an meinen Tisch, um mein Wasserglas aufzufüllen und mir mitzuteilen, dass mein Essen in einer Minute fertig sei.
    »Thank you«, sagte ich.
    »You’re welcome«, sagte sie.
    Schließlich trat sie mit einem Tablett von der Größe einer Tischplatte aus der Küche und begann, Teller und Schüsseln vor mir abzusetzen – Suppe, Salat, die Hähnchenplatte, einen Korb mit dampfenden Brötchen. Alles sah köstlich aus. Erst jetzt merkte ich, was für einen Bärenhunger ich hatte.
    »Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen?«, fragte sie. »Nein danke. Alles bestens«, antwortete ich, Messer und Gabel schon in den Fäusten, bereit, mich auf das Essen zu stürzen.
    »Möchten Sie Ketchup?«
    »Nein danke.«
    »Vielleicht noch ein bisschen Salatdressing?«
    »Nein danke.«
    »Haben Sie genug Soße?«
    Auf meinem Teller schwamm so viel Soße, dass ein Pferd darin baden konnte. »Mehr als genug, danke.«

    »Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee?«
    »Wirklich, ich habe alles, was ich brauche.«
    »Sind Sie sicher, dass ich nichts mehr für Sie tun kann?«
    »Na ja, Sie könnten endlich verschwinden und mich in Ruhe essen lassen«, wollte ich schon sagen, tat es aber natürlich nicht, sondern lächelte nur brav und bejahte dankend. Sie zog sich zurück, blieb aber mit einem Krug eisgekühlten Wassers in Sichtweite stehen und ließ mich während der ganzen Mahlzeit nicht aus den Augen. Nahm ich einen Schluck Wasser, erschien sie sofort und füllte das Glas wieder bis zum Rand. Als ich einmal nach dem Pfefferstreuer griff, missdeutete sie meine Absicht und setzte sich schon mit dem Wasserkrug in Bewegung, musste dann aber den Rückzug antreten. Wenn ich von nun an das Besteck aus den Händen legte, aus welchen Gründen auch immer, machte ich ihr mit stummen Gesten verständlich, was ich zu tun beabsichtigte (»Ich werde mir jetzt Butter aufs Brötchen streichen.«), damit sie nicht mehr an meinen Tisch gestürzt kam, um Wasser nachzuschenken. Unterdessen sahen mir die Leute vom Nachbartisch unentwegt beim Essen zu und lächelten. Ich hatte nur noch eins im Sinn – sobald wie möglich zu verschwinden.
    Als ich mit dem Essen fertig war, erschien die Kellnerin wieder und bot mir Nachspeisen an. »Wie wär’s mit einem Stück Obsttorte? Wir haben Erdbeer-, Brombeer-, Himbeer-, Heidelbeer-, Blaubeer-, Kirsch- und Stachelbeertorte.«
    »Oje, nein danke. Ich kann nicht mehr«, seufzte ich und legte mir die Hände auf den Bauch. Ich sah aus, als hätte ich mir ein Kopfkissen unters Hemd gestopft.
    »Dann vielleicht ein Eis? Wir haben Schokoladensplittereis, Schokoladencremeeis, Schokoladenvanillecremeeis, Schokoladennusscremeeis, Schokoladenmarshmallowcremeeis, Schokoladenminteis mit Cremesplittern und Cremenüssen mit oder ohne Splittersahne.«
    »Haben Sie auch ganz einfaches Schokoladeneis?«

    »Nein, ich fürchte, das hat noch niemand bestellt.«
    »Ich glaube, dann nehme ich gar nichts mehr.«
    »Nicht vielleicht doch noch ein Stück Kuchen? Wir haben –«
    »Nein danke, wirklich nicht.«
    »Eine Tasse Kaffee?«
    »Nein danke.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja danke.«
    »O.k., dann bring ich Ihnen jetzt noch ein bisschen Wasser.«
    Und weg war sie, ohne dass ich Gelegenheit hatte, sie um die Rechnung zu bitten. Die Leute am Nachbartisch beobachteten die Szene mit Interesse und lächelten ein Lächeln, das zu sagen schien: »Wir haben vollkommen den Verstand verloren, und wie geht’s Ihnen heute?«
    Anschließend machte ich einen Stadtbummel – das heißt, ich spazierte die eine Straßenseite hinauf und die andere wieder hinunter. Im Verhältnis zu seiner Größe hatte Littleton allerhand zu bieten – zwei Buchhandlungen, eine Gemäldegalerie, einen Souvenirladen, ein Kino. Jeder, der mir unterwegs begegnete, lächelte mich an, was mich allmählich zu beunruhigen begann. So freundlich sind nicht einmal Amerikaner. Was wollten die von mir? Am anderen Ende der Straße entdeckte ich

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