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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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eine BP-Tankstelle, die erste, die mir in Amerika auffiel. Da ich ein wenig Heimweh nach Blighty verspürte, zog es mich dorthin. Ich sah mir die Tankstelle an und stellte enttäuscht fest, dass sie nichts ausgesprochen Britisches an sich hatte. Der Mann an der Kasse trug nicht einmal einen Turban. Als er merkte, dass ich ihn durch das Fenster betrachtete, lächelte er zu mir herüber. Es war dasselbe beunruhigende Lächeln. Plötzlich wusste ich, was es damit auf sich hatte. Es war das Lächeln von Außerirdischen. So seltsam und boshaft lächelten nur Angehörige interplanetarer Rassen, nachdem sie auf dem Weg zur Herrschaft über die Erde erst einmal die Macht über eine Kleinstadt in der Mitte von Nirgendwo an sich gerissen hatten. Ich habe das oft genug im Kino
gesehen. Es ist kaum zu glauben, ich weiß, aber es sind schon verrücktere Dinge passiert. Halten Sie sich nur einmal vor Augen, wer gerade im Weißen Haus das Sagen hat! Auf dem Rückweg zum Motel schenkte jedenfalls auch ich jedermann ein schauriges Lächeln und hoffte, dass sich die Einwohner von Littleton weiterhin von ihrer friedlichen Seite zeigen würden. »Und wer weiß, vielleicht eröffnen sich für einen Mann mit deinen Qualitäten ganz neue Perspektiven, wenn die den Planeten erst mal erobert haben«, murmelte ich leise vor mich hin.

    Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf. Der Tag versprach, herrlich zu werden. Durch das Fenster meines Motelzimmers sah ich, wie rosarot die Sonne aufging. Ich zog mich schnell an und saß schon hinterm Steuer, als Littleton noch in tiefem Schlaf lag. Nach wenigen Meilen überquerte ich die Staatsgrenze. Vermont machte einen wesentlich grüneren und gepflegteren Eindruck als New Hampshire. Die Berge wölbten sich so massig und so sanft gerundet wie ein schlafendes Tier. Die vereinzelten Farmen wirkten hier deutlich wohlhabender. Wiesen erstreckten sich weit auf die Berghänge hinauf und verliehen den Tälern etwas von dem Flair der Alpen. Schon bald stand die Sonne hoch und wärmend am Himmel. Auf einem Kamm mit Blick auf dunstverschleierte Gebirgsausläufer erblickte ich ein Schild mit der Aufschrift PEACHAM, GEGRÜNDET 1776. Dahinter ein Dorf. Ich parkte vor einem roten Gemischtwarenladen und stieg aus dem Wagen. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Vermutlich hatten die Leute aus Littleton die Einwohner bei Nacht und Nebel auf den Planeten Zog verschleppt.
    Auch am Peacham Inn, einem weißen Schindelhaus mit grünen Fensterläden, waren keine Anzeichen von Leben zu entdecken. Ich schlenderte einen Hügel hinauf, vorbei an einer weißen Kongregationalisten-Kirche und malerischen Häusern. Auf dem Hügel befand sich ein alter Friedhof und daneben ein breiter
Park mit einem Obelisken und einer an einem hohen Mast gehissten Fahne, mit der der Wind seine Späße trieb. Jenseits eines weitläufigen Tals zu Füßen des Hügels wogten blassgrüne und braune Berge wie Wellen auf hoher See bis zum Horizont. Hinter mir schlug die Kirchturmuhr zur vollen Stunde, doch ansonsten drang kein Laut an meine Ohren. Ein so perfektes Fleckchen Erde hatte ich noch nie gesehen. Ich sah mir den Obelisken an. ZUM GEDENKEN AN DIE SOLDATEN VON PEACHAM 1869 stand darauf geschrieben, und für diesen Landstrich typische Namen wie Elijah W. Sargent, Lowell Sterns, Horace Rowe waren darunter in den Stein gehauen. Insgesamt waren es fünfundvierzig Namen, sicherlich zu viele für ein kleines Dorf in den Bergen. Dann fiel mir auf, dass auch der Friedhof neben dem Park für ein solches Dorf viel zu groß war. Er bedeckte den gesamten Hang. Die vielen stattlichen Grabmäler deuteten daraufhin, dass dies einst ein wohlhabender Ort gewesen sein muss.
    Ich trat durch das Tor und sah mich um. Mein Blick fiel auf einen besonders schönen Stein – eine von einer granitenen Kugel gekrönte, achteckige Marmorsäule. Auf dieser Säule waren die zahlreichen Todesfälle der Familie Hurd und ihrer nahen Verwandten verzeichnet, angefangen mit Capt. Nathan Hurd im Jahre 1818 bis zu Frances H. Bement 1889. An der Rückseite stand auf einer kleinen Tafel:
    Nathan H., gestorben am 24. Juli 1852,
4 Jahre und einen Monat

    Joshua F., gestorben am 31. Juli 1852,
ein Jahr und elf Monate

    Kinder von J. & C. Pitkin.
    Was mag es gewesen sein, das diese beiden kleinen Brüder im Abstand von nur einer Woche hinweggerafft hat? Ein Fieber?
Unwahrscheinlich im Juli. Ein Unfall, bei dem der eine starb und der andere schwer verletzt wurde? Oder standen

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