Straub, Peter

Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau

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nervös zu sein, sie tippte mit einem Fi n ger auf die Zigarette. »Es ist erstaunlich, wie leicht dies alles für uns ist. «
    Sie sagte nichts.
    »Tut mir leid «, sagte ich. »Ich bin achtlos. Sei nicht u n glücklich. «
    »Sie ist jetzt in Israel? «
    »Israel «, sagte ich. »Sie ist mittlerweile fast eine Woche dort. «
    Von jenseits des Raumes konnte ich die Stimme der Frau mit dem Turban hören, ein nörgelndes Greinen. »… nun, nach alledem konnte ich nicht nein sagen … ich liebe diese kleine Allee! « Sie hörte sich an wie ein Vogel in einem besonders schönen Käfig. »Ja, die, die mit den kleinen wie-nennt-man-sie-gleich. «
    »Du solltest dich nicht entschuldigen «, sagte die Frau. »Ich sollte es tun. Ich bin so ein Flittchen. Ich bin egoistisch, wil l kürlich, ich nehme alles, was mir gefällt. Oh, ich bin in einer so schrecklichen Stimmung. «
    »Es ist nichts Spezifisches «, fuhr sie fort. »Aber ich fühle mich, als stünde ich in einem Brunnen. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. « Sie nahm einen Schluck von ihrem Drink. »Liebst du deine Frau? «
    »Meistens «, sagte ich.
    »Sie erinnert mich an meinen Mann. Sie sieht aus, als hätte sie Launen. « Danach längeres Schweigen.
    »Oh, natürlich ist er das! « ertönte die Stimme der amerik a nischen Frau. »Sie alle sind es! «
    »Wir sind niederträchtig «, sagte die Frau. »Ich weiß nicht, ob ich das noch länger ertrage. Alles in unserem Leben scheint rückwärts zu laufen – wir leben unser Leben rückwärts. Weißt du, was ich meine? Ich drücke mich sehr schlecht aus. «
    »… daher trat er ihm in die Hose! Ich finde, er bekam genau das, was er verdient hat! «
    Ich wusste nicht, was sie meinte. Ihre Wut hatte mich b e troffen gemacht, wenngleich ich sie schon früher an ihr festg e stellt hatte, und ich versuchte, mir etwas zu überlegen, was ihre Stimmung verbessern, die scharfen Kanten ihrer Wah r nehmung glätten konnte, aber sie legte die Hand auf die Stirn und sprach zuerst.
    »Ich bin so müde. Ich will nicht … Mach dir meinetw eg en keine Sorgen. Können wir auf unser Zimmer gehen? Ich möchte mit dir allein sein. «
    Während wir hinausgingen, konnte ich die Frau mit dem Turban sagen hören : »Nun, ich weiß, dass sie allesamt Diebe sind, aber was soll man machen? Das ist in ihrer Kultur – in ihren Genen! Man kann nicht erwarten, dass sie uns mögen. Sie sind alle Bauernkinder. Und wenn sie alle denken, sie w ä ren Napoleon, dann ist das ihr Charme. «
    Als wir vor der Tür unseres Zimmers standen und den g e waltigen Schlüssel ins schloss steckten, hörten wir gedämpfte Stimmen in dem Zimmer. »Vielleicht sind die Zimmermä d chen noch drinnen «, sagte die Frau und berührte meine Hand mit dem Schlüssel. »Aber es klingt mehr nach einem Mann. « Ich drehte leise den Schlüssel herum; als ich drückte, öffnete sich die Tür lautlos einen Spalt. Im Zimmer sprach eine Mä n nerstimme flüssig und derb. Die Stimme war rau und tonlos.
    »Das Fernsehgerät! « rief ich aus. Ich stieß die Tür ganz auf und betrat das helle, stuckverzierte Zimmer. »Die Mädchen haben den Fernseher angelassen. «
    Die Frau trat seufzend hinter mir ein. »Es ist Charriere «, sagte sie. »Gott sei Dank, du hattest Recht . Hat er nicht eine grässliche Stimme? Wie dein George Raft. «

3

    Ich sah die Frau zuerst in Dublin, als sie aus einem Antiquit ä tengeschäft kam, während ich halbherzig auf der Kildare Street eine geschäftliche Unterhaltung führte; eine Woche sp ä ter sah ich sie wieder, an der Weintheke von Smith ’ s Of The Green. Ich lächelte ihr zu und dachte: Dies ist eine der schö n sten Frauen, die ich jemals gesehen habe; dieser Gedanke, mehr als alles andere, lie ß m ich lächeln. Zu meiner Überr a schung erwiderte sie das Lächeln. Ihr Mund war entspannt und humorvoll, was bei schönen Frauen nicht immer der Fall ist.
    Sobald ich dort angekommen war, konnte ich feststellen, dass Dublin eine Stadt grenzenloser Möglichkeiten ist. Die Menschen, die man in seinem Beruf kennen lernt , erweisen sich immer als alte Freunde deines Arztes oder Anwalts – und wenn sie die nicht kennen, dann sind sie mit ihren Vätern zur Schule gegangen, oder mit ihren Neffen, und können, be i spielsweise bei einem Essen mit dem pakistanischen Botscha f ter, in einem Zustand inspirierter Angetrunkenheit, eine dre i ßig Jahre alte Anekdote über eine Begebenheit aus deren L e ben erzählen, was sie stets mit ungebremstem