Straub, Peter
einschließlich des sta u bigen Strahls Sonnenlicht, der vom Fenster auf den grünen Teppich fiel, über den sie üppig dahinschritt, um ein Glas Wasser zu holen, ins Badezimmer zu gehen, oder etwas dera r tiges. Sie war mit einem billigen Hotelglas in der Hand z u rückgekommen, als ich meine nebensächliche Bemerkung machte. Sie sagte: »Eines Tages wirst du mich ansehen und sagen: › Sie ist leer, verbraucht und wüst. ‹«
»Von wem ist das? « fragte ich, nachdem ich mich, von der Kadenz ihrer Stimme kalt berührt, aufgerichtet hatte.
»Nahum «, antwortete sie. »Nahum der Elkoschite. Du sol l test ihn auch einmal lesen. Er ist besser als eine Säuberung. «
Die Frau hatte stets ein Buch bei sich, und sie las mit der Ko n zentration einer Süchtigen. Als wir uns in Irland kennen ler n ten , las sie die komplette Virginia Woolf; › Der Falter ‹ , nannte sie sie. Später, kurz vor unserer Reise durch Frankreich, las sie alles, was Henry James geschrieben hatte; zu anderen Zeiten hatte sie dasselbe mit George Eliot, Gide, Proust, Dickens, Forster und Lawrence getan. Sie las die Bücher in der Orig i nalsprache und in Übersetzungen – ich erinnere mich an eine grün eingebundene Übersetzung, die zwischen Originalausg a ben auf dem Rücksitz unseres Mietwagens lag. »Andere Fe n ster, andere Ansichten «, sagte sie.
Im Flugzeug nach Orly beulte eine altmodische Ausgabe von Daniel Deronda ihre Handtasche aus.
»Das hat Morgan gefallen «, sagte ich ihr. »Sie hielt es für eines der besten Bücher, das sie jemals gelesen hatte. «
»Nun, das ist ein letztes Indiz «, sagte sie. »Vielsagend. Vielleicht ist sie doch nicht so nachdrücklich. «
Der reglose, steife und schweigende Chauffeur holte uns am Flughafen ab, er saß in dem schwarzen Mercedes, von ihm umhüllt, wie eine Blase in einem Sektglas. Ich glaube, dass er mich im Grunde genommen überhaupt nie richtig gesehen hat, sondern lediglich eine schlampige, dunkle Störung seines G e sichtsfeldes. Es schien ihn nicht im mindesten zu interessieren, dass ich in jüngster Zeit so häufig im Wagen seiner Chefin mitfuhr, und die außergewöhnlichen Szenen, die er ab und zu in seinem Rückspiegel gesehen haben musste , ebenso wenig . Das heißt, außergewöhnlich nur für ihn; denn wir verhielten uns mehr als durchschnittlich vorsichtig, wenn er in der Nähe war. Als Erklärung für die harmlosen Ausrutscher, die wir uns leisteten, mag die Frau ihm gesagt haben, ich sei ein Vetter oder Bruder, aber ich denke vielmehr, dass er sich selbst ei n fach nie gestattete, über unser Händchenhalten und Küssen bewusst nachzudenken. Diesesmal fuhr er uns von Orly zu unserem Hotel in der Rue de Rivoli. Sein Rücken war reglos und vollführte keinerlei Bewegungen, die ich deuten konnte . Die Frau entließ ihn, nachdem er und der Portier unsere Koffer aus dem Kofferraum genommen hatten, und teilte ihm mit, er könnte mach Hause ‹ gehen, weil sie einen Monat nicht da sei.
»Trinken wir etwas «, sagte ich. Während der Portier die Koffer auf unsere Zimmer bringen ließ, gingen wir durch die hell erleuchtete Hotelhalle zur amerikanischem Bar des Hotels, einem Raum mit Holzverkleidung und Sportmotiven an den Wänden, eine Bar nur aufgrund der langen Theke mit Spir i tuosen, welche sich an einer Wand befand. Ein kleines Me s singschild an der Tür besagte: › Manhattan Room ‹ . Zwei and e re Paare hielten sich dort auf, sie saßen an zwei verschiedenen weißen Marmortischen, den einzigen Farbtupfern in dem sonst dunklen Raum. Beide Paare schienen Amerikaner zu sein. Die Frauen hatten helle Kleider an, eine trug einen Turban. Die beiden Männer sahen die Frauen an, als wir die Bar betraten und an einem Ecktisch Platz nahmen.
Wir bestellten beide je einen doppelten Scotch. Als ich die dunkel goldene Flüssigkeit im Glas vor mir sah, und die Frau in der halbdunklen Hotelbar neben mir, fühlte ich mich ausg e lassen, aufgeputscht. Mir war, als hätte ich eine alte Haut a b gestreift. Ich hatte zusammen mit der Frau ein Flugzeug betr e ten und es in einem anderen Land wieder verlassen: vor uns lag ein ganzer Monat. Ich war wie neugeboren.
»Wir mieten ein Auto «, sagte ich. »Wir haben den ganzen Monat für uns, und wir fahren von Paris aus nach Süden und bleiben in jeder Stadt, die einladend aussieht. Wir werden überhaupt nicht an Geschäfte und Telefone denken. Wir tri n ken le vin du pays und essen Trüffel und Pate und Schne c ken. « Die Frau schien
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