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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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dachte an Magruder – ich wusste , sie meinte ihn, auch wenn mir das Zitat nicht aufgefallen war – und seinen drast i schen Plan der Selbstgenügsamkeit; der Fluss antwortete da r auf, indem er sich weiß wie Stahl unter der heißen Sonne krä u selte.
     
    Das H o tel Gauguin war ein großer rechteckiger Block, ähnlich einem Brotlaib, es war in der Farbe einer provencialischen Bauernhütte gestrichen, jenem sandigen Gelb, das mir stets als ein gnadenloser Farbton erschienen ist. Die Frau liebte die Provence, und sie liebte auch die Farbe. Sie hatte die Ang e wohnheit, sich harmonisch dazu zu kleiden, wie die zum U n tergang verurteilte Heldin in einem Hollywood-Thriller, oder ein Mannequin, das vor einer Schiffsreling posiert. Wenn sie um eine Ecke bog, gruppierten die Elemente einer Straße sich um sie herum neu. Sie zog die Aufmerksamkeit der Städte auf sich, durch die wir kamen, und ging durch sie hindurch, w ob ei sie die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zog. Ich hatte den Eindruck, dass diese Fähigkeit von ihr auf die Kongruenz zw i schen der Farbe ihrer Kleidung und der der Gebäude in der Provence zurückzuführen war, die Erde und das blendende Sonnenlicht. Doch trotz dieser Seelenverwandtschaft zwischen ihnen, entblößte die grelle Sonne in Arles Fältchen um ihren Mund herum, die vorher nicht dagewesen waren. Für meinen Teil bewirkten diese Fältchen nur, dass der Stromkreis zw i schen uns noch stärker wurde: Als wir auf das H o tel Gauguin zugingen, fand ich, dass sie schöner denn je aussah. »Such ein schönes Zimmer für deine gütige Frau «, sagte sie und nahm meine Hand wie ein Mädchen, als wir eintraten.
    Unser Zimmer überblickte den Platz vor dem Hotel; am Tag war er von grellweißem Licht erfüllt, in der Nacht wurde er zum Zentrum geheimnisvoller Aktivitäten. Wir blieben zwei Nächte dort: für uns waren es die beiden letzten guten Nächte. Arles war geschäftiger und lärmender als alle anderen Städte, in denen wir auf unserem Weg nach Süden Halt gemacht ha t ten, und den größten Teil der Nacht hindurch konnten wir G e lächter, Murmeln und das Gitarrenspiel eines jungen Englä n ders hören, dessen roter Triumph auf der anderen Straßenseite parkte, ab und zu das Dröhnen eines Motorrollers in der Du n kelheit. »Eine Nachricht für Sie, Mr. Garcia «, flüsterte ich ihr ins Ohr – aber sie war nicht in einer amerikanischen Dorfsch u le unterrichtet worden wie ich, drei unglückliche Jahre lang, ihr waren die Ausführungen eines Mr. Elbert Hubbard erspart geblieben, und zudem war sie ohnedies eingeschlafen.
    Alle Zimmer auf unserer Seite des Hotels Gauguin hatten einen Balkon. In unserer ersten Nacht in dem Zimmer trat ich auf den Balkon hinaus, das muss kurz nach Mitternacht gew e sen sein. Seitlich und zwei Balkone u nt er mir entkleidete ein betrunkener Mann ein schwarzhaariges Mädchen, das ebe n falls betrunken war. Sie waren sehr leise und legten sich g e genseitig den Zeigefinger auf die Lippen, wenn der andere von einem Kichern überfallen wurde. Ich sah über den Platz hi n aus, wo der englische Junge auf der Haube seines Triumph die Gitarre stimmte. Er neigte den Kopf und hielt die Gitarre ans Ohr, wobei er die Saiten zupfte. Ich hatte den Eindruck, als wäre auch er ein wenig betrunken, seine Gesten schienen übe r trieben zu sein. Als er mit der Stimmung zufrieden war, nahm er das Instrument auf den Schoß und summte eine Minute m ü ßig, wobei er den Kopf zurückgelegt hatte. Ich sah wieder zu dem anderen Balkon hinab. Der Mann hatte das Mädchen jetzt vollständig ausgezogen, sie hatte die Arme über dem Bauch verschränkt und sah ihm zu, wie er sich seiner Kleidung entl e digte. Als er einen Fuß hob, um den Schnürsenkel zu öffnen, zog sie ihn an der Nase. Der Junge spielte eine Melodie mit der Gitarre, dann wechselte er zu etwas, das ich kannte, wenn ich auch nicht wusste , was es war. Ich sah zu ihm hinüber, er hatte den Kopf jetzt konzentriert über die Gitarre gebeugt. Er schwankte leicht auf der Haube des roten Autos hin und her. Die Melodie, die er spielte, entfaltete sich in meinem Kopf, als ich sie vom Platz herauftönen hörte. Ich kannte sie. Dann fiel mir das Stück ein: Nächte in spanischen Gärten von Manuel de Falla. Ich blieb noch eine Weile auf dem Balkon stehen und lauschte den melodischen Klängen, die eine andere Welt h e raufbeschworen. Das Mädchen unter mir stöhnte, aber ich wollte den Kreis der Intimität, den sie in ihrer

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