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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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Ellbogen g e stützt, betrachtete ich sie. Sie sah mich unter ihrem wilden Haar nachdenklich an, und in ihr war eine Spannung, die ich nicht definieren konnte. Sie zog das Laken über uns.
    »So siehst du wunderbar aus, wie ein schlafender Bär. Ein großes, gieriges, zotteliges Geschöpf. Ich kann sehen, wie du einfach so davongehst und mich vergisst , kaum dass du mir den Rücken zugewendet hast. «
    Ich antwortete ihr, sie wäre albern und pervers, dass ich sie niemals verlassen oder vergessen könnte, dass ich eine Ident i tät mit ihr fühlte, die zum Lohnendsten und Wertvollsten me i nes Lebens gehörte. Wenn wir uns wieder trennen mussten , wenn wir wieder zu den anderen Menschen in unserem Leben zurückkehren mussten , würde sie für mich immer noch präsent sein, in jeder M in ute. Nachdem mir endlich aufgegangen war, bis zu welchem Ausmaß Magruder sich zwischen uns gedrängt hatte, kam ich zu einer anderen Schlussfolgerung : wenn eine Frau davon spricht, dass du sie verlassen wirst, dann hat sie im Gegenteil vor, dich zu verlassen. Dennoch bin ich noch uns i cher. Nachdem ich zu einer Anthologie des Verrats geworden war, wie konnte ich zu einer zutreffenden Einschätzung der Taten der Frau kommen?
     
    Als sie davon sprach, in der Rhone zu schwimmen, hatte die Frau einen wirklichen Wunsch ausgesprochen, nicht nur ein Hirngespinst. An diesem Morgen um zehn Uhr gingen wir an den weißen Mauern über dem Fluss entlang und hielten nach einer ruhigen Stelle im Wasser Ausschau. In Arles ist der Fluss weiß und schnell, man findet kaum eine Gelegenheit zu schwimmen. Unterhalb der Mauer verlief ein betonierter Stre i fen, der zum Fluss hin abfiel, wo wir Handtücher, Uhren und Kleidung hätten hinlegen können, aber die Strömung war viel zu gefährlich, um zu schwimmen.
    »Es ist so schön hier «, sagte sie. »Das Wasser ist wirklich weiß. Ich hätte nie gedacht, dass es so eindrucksvoll aussieht. Es scheint tatsächlich einen eigenen Willen zu haben. Es sieht aus, als würde es gerne heraufkommen und sich das Land z u rückholen. «
    »Du bist eine echte Romantikerin «, sagte ich, aber ihre B e schreibung war zutreffend. Wie sie, hatte auch ich nicht g e dacht, dass der Fluss eine so übermächtige Wesenheit sein könnte. Wir sahen von der Mauer auf das reißende Wasser hinab.
    »Ich möchte dort unten sein «, sagte sie.
    Wir gingen ungefähr fünfzig Meter an der Mauer entlang, und dann präsentierte sich uns eine Lösung. Die Turbulenz des Flusses schien zuzunehmen, als wir uns einer Überführung näherten; schließlich sahen wir, dass e s sich um eine Brücke handelte, die im weißen Fels am Fluss entsprang und im Wa s ser selbst einen kleinen Damm bildete. Auf unserer Seite war der Fluss noch reißender, aber als wir die andere Seite der Brücke erreichten, konnten wir sehen, dass der Fluss dort auf einer Strecke von etwa zwanzig Metern so still wie ein See dalag. Die Sonne spiegelte sich in diesem Becken, das dunke l gold zu leuchten schien, nicht weiß. Eine kurze Treppe führte von der Mauer zur betonierten Fläche hinab, welche am Fluss endete, was bedeutete, dass wir nicht die drei Meter von der Spitze der Mauer hinunterspringen mussten . Es war ein vol l kommener natürlicher Teich.
    Als wir vor den Stufen standen, folgten die Frau und ich demselben Impuls, warfen den Hotels und Bäumen entlang der Allee auf der anderen Seite der Mauer einen letzten Blick zu – einem Territorium, welches mir in jenem Augenblick wüst und leblos erschien –, und gingen dann zu dem Teich hinunter. Wir schritten in eine niederschmetternde Hitze hinab. Das Sonne n licht wurde durch die weiße Mauer und den Beton noch ve r stärkt und hatte die Energie von elektrischem Strom. Als ich darauf trat, bekam ich einen momentanen Schwächeanfall. Der ruhige Teich, der sich hinter der Brücke befand, schien sich aufzubäumen. Als der Augenblick vorüber war, fand ich mich schweißgebadet.
    »Sei nicht so langsam «, sagte sie. »Der Fluss präsentiert uns praktisch eine Einladung. « Wieder stimmte ich zu, ohne auf ihre Wortwahl einzugehen. Die goldgelbe Oberfläche des Wassers lag wie ein offenes Feld vor uns.
    »Ich sehe, was du meinst «, sagte ich. »Ich muss unbedingt ins Wasser. Diese Hitze macht mich völlig fertig. « Wir fingen an, die Kleidung abzulegen, die wir über unsere Badesachen angezogen hatten. Sie trug einen weißen Bikini, der zu ihrer braunen Haut atemberaubend aussah; ich trug eine orange und gelb

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