Straub, Peter
anderen, dem Kern von Selbstinteresse und Passivität, dem notwendigerweise unveränderlichen Selbst.
Das andere findet sein Zuhause in Taten und Gesten. Wie soll ich es ausdrücken? Ich habe Angst, mich in der Sterilität der Worte zu verlieren. Ich möchte folgendermaßen anfangen: Als ich das letzte Mal versuchte, Dir zu schreiben, sagte ich etwas von einer › geläuterten Welt‹ – die Welt , die frei von B e schreibungen ihrer selbst ist. Du hast verstanden, was ich mit diesem übertrieben dramatischen Ausdruck gemeint habe; und selbst wenn Du es nicht verstanden hast, Deine Haut hat es für Dich getan. Schließlich, wer lebt nicht in zwei verschiedenen Welten? Die Plötzlichkeit unserer Verständigung ist für mich das Signal, dass wir, wenn wir zusammen sind, in einer Welt leben, die frei von Beschreibungen ist: Beispielsweise ist es unvorstellbar, dass einer von uns ein Buch über unsere Affäre schreiben wird – billige Worte. Es würde unmöglich scheinen – all diese Taten, und keinerlei Motivation!
Du weißt, wir leben alle in vielen verschiedenen Auge n blicken gleichzeitig. Ich gehe stets mit meinem Bruder einen Flur entlang, trage ein Frühstückstablett zum Schlafzimmer meiner Eltern. Dieser Augenblick ist voller Glück; eine gelbe Blume steht auf dem weißen Tuch über dem Tablett, der Frü h stückstee dampft in das Dunkel des Flurs. In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, höre ich immer meiner Mutter zu, die betrunken und deren Haar wirr um ihren Kopf herum ze r zaust ist, und die mir sagt, dass ich nicht liebenswert bin. Ni e mand wird mich jemals lieben, sagt sie. Ich bin nur eine halbe Person. Sie steht vom Tisch in der halbdunklen Küche auf und hält der Katze maunzend ein Stück Fleisch hin. › Du bist eine Hexe, wie ich auch ‹ , sagt sie, während die Katze das Fleisch zerbeißt und in Stücke reißt. Wir müssen, zwischen uns beiden, hinter die Mechanismen der Psychologie blicken – sie sind l e diglich ein Schleier zwischen uns und der Welt. Ich bin eine nordische Persönlichkeit. Wichtig für mich ist die Verbindung, die durch die Qualität der Erfahrungen, welche sie beinhalten, zwischen den einzelnen Augenblicken geschaffen wird.
Wir kennen einander jetzt, und nichts kann das ändern. Ich liebe Dich mit ganzem Herzen; das ist die bedeutendste Tats a che der Welt für mich. Sie verändert alles. Von meiner Mutter habe ich die Notwendigkeit gelernt, ehrlich zu sein. Sie war wie einer dieser Laserstrahlen, von denen man in der Zeitung liest – auf absolute, grässliche Weise präsent, ein destruktives Eindringen. Nachdem mein Vater gestorben war, brachte sie uns nach London, meinen kleinen Bruder und mich, und stec k te uns in ein großes und düsteres Haus, das sie um sich trug wie einen Mantel. Meine Freunde können die Beziehung nicht begreifen, die ich zu ihr hatte – und ich finde, sie vergeudeten ihr Mitleid, denn als ich mit ihr zusammenlebte, lernte ich a l les über Chaos und Verlust und Desorientierung. Ich mußte nur lernen zu manövrieren. Als sich eine junge Frau war, brachte mein Mann die Dinge wieder ins Lot; bei Dir kann ich die Lektionen anwenden, die ich von meiner Mutter gelernt habe, kann sie wieder ans Licht bringen. Du enttäuschst mich nicht. «
Ich zitiere aus dem zweiten Brief, den mir die Frau geschri e ben hat. Er wurde an meine neue Unterkunft in Dublin geli e fert und kam zwei Wochen bevor Morgan aus Amerika eintraf. Zu dieser Zeit war ich ratlos vor Angst und Unentschlosse n heit : ich spürte, dass ich mich weiterhin mit der Frau treffen musste , ich musste den Faden meines Schicksals und Chara k ters, der mit ihrem verwoben war, aufwickeln. Ich wusste , Morgan würde meine Privatsphäre respektieren, aber ich kon n te mir die Verbitterung vorstellen, mit der sie diese spezielle Lage aufnehmen würde. Ich fürchtete, dass meine Untreue meine Ehe kaputt machen würde, dennoch war ich außersta n de, ihr ein Ende zu machen. Von Anfang an präsentierte meine Fantasie mir die Situation mit der Frau als aussichtslos und zum Scheitern verurteilt; dem mythenschöpfenden Zentrum meines Verstandes erschienen sie und ich wie Kinder in einem Märchen, die durch unentwirrbar komplizierte Zusammenhä n ge miteinander verbunden sind und durch die unvorstellbare Tiefe ihrer Beziehung vor einer Katastrophe gerettet werden, die anderweitig über sie hereinbrechen würde. Auch als dieses Gefühl am stärksten war, war mir klar, dass es kindisch war;
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