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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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sprichst. Du und Joanie, ihr hattet noch nie einen Wettstreit. Gib mir ein Beispiele Ich sagte: › Wenn du darum bitten musst , dann hast du nie mitbekommen, was vor sich ging – es war ein unablässiger, tagtäglicher Ko n kurrenzkampf zwischen uns beiden. ‹ Das glaubte er nicht. «
    »Er ist ein Musterbeispiel für Freud «, sagte Joanie. Sie sah zu Fred.
    »Nein, so war es eigentlich nicht «, sagte Morgan. »Es ist mehr prä-Freudianisch. Wie er die Welt sieht. «
    »Ich weiß nicht, was du erwartet hattest. So ist er immer gewesen. Mich hat das fast verrückt gemacht. « Sie lachte wi e der, aber es hörte sich gezwungen an. »Oh, Morgan, Morgan. Manchmal denke ich, du solltest den Shirley Temple Fri e denspreis bekommen. «
    »Darüber seid ihr jetzt alle hinaus. Warum lassen wir das Thema nicht fallen? « Fred hörte sich an, als versuchte er, Fri e den zwischen den Schwestern zu stiften. Ich mochte ihn mehr denn je.
     
    Diese Unterhaltung drang wie vom anderen Ende einer Röhre zu mir, dennoch konnte ich sie mit ungewöhnlicher Klarheit hören. Ich spürte Morgans Zorn auf ihre Schwester, und mir war klar, dass sie den durch die Geschichte von der Unterr e dung mit ihrem Vater hatte ablassen wollen. Das war typisch für Morgan, so wie › grobe Unverblümtheit ‹ typisch für Joanie war. Ich hatte früher schon ähnliche Geschichten von Joanie gehört. Doch während sie sich unterhielten und ich mit einer Art übernatürlicher Aufmerksamkeit zuhörte, konzentrierte ich meine Wahrnehmung eigentlich auf einen seltsamen Zw i schenfall, der sich etwa dreißig Meter entfernt zwischen den Zelten zutrug.
    Charles La Rochelle war, eine Zigarre rauchend, aus dem Zelt herausgekommen. Er hatte nichts mehr von dem lärme n den Dickschädel an sich, als den ich ihn vor der Hochzeit ke n nen gelernt hatte; während er allein neben dem Zelt stand und rauchte, schien La Rochelle ganz und gar kein Narr mehr zu sein. Seine Haltung drückte eine Art von Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit aus. Er sah irgendwie kalt entschlossen aus, als hätte er eine Mission, an der niemand sonst auf der Party teilnehmen konnte. Das hatte etwas Bedrohliches an sich.
    Kurz vor La Rochelle, in meinem Sehbereich links – in Wirklichkeit musste er vier bis fünf Meter von ihm entfernt gewesen sein –, hatte Sandy Bosch sich mit Dr. Stern unterha l ten. Seit ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, musste er u n unterbrochen weitergetrunken haben. Er benahm sich mit dem unsicheren Selbstvertrauen eines Betrunkenen. Als La Roche l le aus dem Zelt kam und sich allein daneben postierte, konnte ich sehen, wie Bosch den Ärmel des Psychiaters losließ und ihm etwas zumurmelte, um sich zu entschuldigen. Dr. Stern schüttelte den Kopf und flüsterte Bosch ein paar Worte ins Ohr. Bosch schien sie nicht zu hören; er starrte Charles La R o chelle an wie eine Maus, die von jemand mit einem Schürh a ken in die Ecke gedrängt wurde. Natürlich is t d as lediglich meine Rekonstruktion der Ereignisse: Ich konnte zu dem Zei t punkt nicht sagen, ob er Angst oder Zorn empfand. Bosch ließ den Doktor stehen und gesellte sich zögernd zu La Rochelle. La Rochelles Lippen bewegten sich, als würde er ihn begr ü ßen. Bosch hatte mir nun den Rücken zugewendet, und ich konnte sehen, wie er die Hände aneinander rieb. La Rochelles Brillengläser funkelten, als sich die Sonne darin spiegelte wie vorhin, als er mir seinen rätselhaften Rat gegeben hatte. Boschs Rücken drehte sich etwas zur Seite, er riss die Arme mit nach oben gekehrten Handflächen hoch. Er sah wie ein Mann aus, der um etwas bittet – einen Job, Geld, die Möglic h keit, etwas auszubügeln, was er verdorben hatte. Fünf Jahre später sollte ich dieselbe Haltung, dieselben Gesten bei den bettelnden Kindern in Dublin sehen, die mit ausgestreckten Händen auf der Grafton Street um Pennys flehten.
    Bosch machte drei rasche, schüchterne Schritte und stand nun direkt vor La Rochelle. Anscheinend immer noch redend, ergriff er den Ärmel des anderen Mannes. La Rochelle entzog ihm die Hand und hielt sie einen Augenblick mit offensichtl i chem Abscheu hoch. Sein Gesichtsausdruck war, als hätte man ihn geschlagen. Dann nickte er mit dem Kopf seitlich, und die beiden Männer gingen an uns, in unserem Kreis aus Tellern, vorbei; sie schritten kaum zehn Meter entfernt vorüber. Sie sahen nicht in unsere Richtung, und ich war der einzige aus unserer Gruppe, der ihnen zugewandt war, daher war ich auch der

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