Straub, Peter
scheint alles einfach zu sein, alles wird verstanden. Der Alkohol, den ich zu mir genommen habe, löst in meinem Kopf vertraute Reaktionen aus. Ich streichle ihre Wange. Ohne Hast oder Missfallen nimmt sie die Hand weg.
»Was haben Sie ihm angetan? « frage ich.
Ihr Gesicht erstrahlt wieder; sie ist erfreut von diesem Au s druck für das, was zwischen ihnen vorgefallen ist und Jacks normalem gelassenen Gesicht diesen gestressten Ausdruck verliehen hat.
»Ihm habe ich überhaupt nichts angetan «, sagt sie und b e tont dabei das erste Wort besonders nachdrücklich. »Er hat mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun. «
Ich nehme einen kräftigen Schluck aus meinem Glas, wä h rend mir allmählich ungefähr aufgeht, welche Geschichte mir Jack Goldsmith erzählen wird. Die Gleichgültigkeit ihrer E r wähnung von Jack macht mir klar, warum Jack so erleichtert war, als er mich bei Sheila auf dem Boden sitzen sah. Da sie bei mir war, konnte sie nicht bei dem anderen sein, wer immer er sein mochte. Ich bin etwas enttäuscht von Sheila. Ihr G e heimnis ist ein so durchschnittliches. Ich drehe das Glas in meiner Hand und verspüre plötzlich den unsinnigen Wunsch, Sheila von der Frau zu erzählen. Meine Geschichte, denke ich, wird uns enger zusammenschmieden, sie wird sie erleuchten. »Sheila …« beginne ich. Ich ergreife ihre Hand. Einen Auge n blick ist ihr ganzes Wesen eine Andeutung der Kraft, die ich schon vorhin gespürt habe: ein alles niederwalzender Ernst.
Sie steht entschlossen auf und trennt die Verbindung uns e rer Hände. »Ich werde Ihnen zeigen, wovon ich rede «, sagt sie. Sie drängt sich durch eine Gruppe in der Nähe, geht zum B ü cherregal und nimmt etwas von einem Stapel Papier, der auf den Büchern liegt. Als sie z u m ir zurückkommt und sich setzt, hat sie eine Ausgabe des Evening Standard in der Hand, der auf einer Innenseite aufgeschlagen ist.
»Kennen Sie Katina? « Sie hält mir die Zeitung hin. Immer noch verwirrt, ergreife ich sie.
»Wer ist Katina? « frage ich dümmlich.
Sie deutet auf eine Spalte der Zeitung. Die Horoskope.
»Das? «
» Sheila , um Himmels willen …« Ich sehe auf das Datum, um mich zu vergewissern, ob es die heutige Ausgabe ist. 1. August.
»Lesen Sie. «
FISCHE: Venus in Ihrem Haus hat eine lange romantische Verwirrung zur Folge. Mit Ihrem bisherigen Partner sollten Sie behutsam umgehen. Viele Fische werden sich auf eine b e vorstehende aufregende Reise freuen können. Handeln Sie nicht übereilt oder impulsiv, aber holen Sie das Beste aus I h rer Erfahrung heraus. Die Finanzen sind geordnet. Ein guter Abend für eine Party mit Freunden.
»Sehen Sie? «
Die Stunden, die sie und Morgan am Telefon verbracht h a ben, kommen mir mit schrecklicher Klarheit ins Bewusstsein .
»Ich glaube nicht an so etwas, wenn Sie das meinen. « De n noch bin ich durch den Satz der Astrologin erschüttert und befriedigt zugleich. Ihre Aussage steigert das Gefühl des U n ausweichlichen, welches ich in meiner Beziehung zu der Frau habe. Sheila antwortet darauf, indem sie mit der zusammeng e falteten Zeitung winkt, eine So-ist-es-nun-einmal Geste.
»Das ist ein Tagtraum, Sheila, eine Methode, aus der Ve r antwortung zu entfliehen. «
»Woran glauben Sie? «
Ihre wiederholte Frage ruft die Gefühle in mir wach, die ich in Dublin empfand, als ich der Frau zum ersten Mal begegnete – das Gefühl einer endlosen Komplexität und einer magischen, unmoralischen Energie.
»Das Selbst «, sage ich. »Ich glaube nur an das Selbst. So komplex und vielfältig es sein kann. « Ich habe das Gefühl, als würde ich eine profunde Wahrheit aussprechen.
»Das ist so altmodisch «, sagt sie. »Es ist eine Entschuld i gung dafür, blind gegenüber den Gefühlen anderer Menschen zu sein. Sie und Andrew Carnegie. «
» Sie und Madame Blavatsky. « Ich lache, und unsere B e reitwilligkeit, einander in bestimmte Kategorien zu stecken, verblüfft mich aufrichtig. »Was habe ich getan, dass ich diese Predigt verdiene? Gefällt es Ihnen denn nicht, ein Selbst zu sein? Diese albernen Horoskope werden überall von irgen d welchen Computern geschrieben – sie können alles sagen, auf irgendjemanden wird es schon zutreffen. Wie Glückske k se. «
»Sie sind betrunken «, sagt sie. »Ich versuche, Ihnen etwas zu sagen. «
Sie sieht mich an, als würde sie für einen Anzug Maß ne h men. »Ich hole Ihnen einen Kaffee «, sagt sie und steht auf. Als sie weggeht, hört die Musik auf und eine andere
Weitere Kostenlose Bücher