Straub, Peter
einem öffentlichen Garten, über dem ein Sommersturm tobt. Es ist zehn Uhr abends; wir sind allein im Park. Um uns herum ragen Bäume auf, von denen Wasser he r abstürzt. Ich fühle mich isoliert, befreit, triumphierend.
»Du elender Dreckskerl «, sagt sie zu mir. Ihr breites, so n nengebräuntes Gesicht, das mir reizender denn je erscheint, ist vom Weinen verzerrt. »Du dummer, puritanischer, verblend e ter, egoistischer Dreckskerl! Wenn du mich verlassen willst, dann geh doch! Geh! Oh, du unglaublicher Schlappschwanz! «
SECHS
1
»… warum Du so lange nichts von mir gehört hast. Ich habe alle Briefe zerrissen, die ich Dir geschrieben habe. Ich habe nicht erwartet, dass Du schreiben würdest, aber ich wagte de n noch wochenlang zu hoffen; ich wusste die ganze Zeit, seit der ersten Nacht in Aix, wie Du auf den Schmerz reagieren wü r dest, den ich Dir zugefügt habe, aber ich habe auch gewusst , wie dankbar du deswegen sein würdest: Du möchtest allein sein und fühlst Dich immer unbehaglich, wenn Du Dich nicht als isoliert betrachten kannst. Das ist Deine größte Schwäche – Deine Unfähigkeit, mit dem Strom zu schwimmen. Hier im Krankenhaus hatte ich Gelegenheit, über Dich und Deine R e aktion auf die Magruder-Episode nachzudenken. Ich war w ü tend, als ich mit ansehen musste , wie Du fort gingst , aber im Verlauf dieses Monats habe ich begriffen, was Du mit dem gemeint hast, was Du während des Regensturms sagtest. Wir konnten beide voneinander lernen, und als das nicht mehr möglich war, war es auch für uns aus. Das bedeutet nicht, dass ich Dich nicht weiter lieben werde. Du bist die einzige Person, die ich durch und durch kenne. Ich kenne Dich, ich kenne Dich, und wenn das eine Illusion ist, dann ist nichts in meinem Leben real.
… und daher macht es mich betroffen, dass etwas so Richt i ges ein so schnödes Ende finden konnte. Du bist in London und hast Dich in Deine Ehe zurückgezogen, Magruder ist auf seinem Berg und wartet auf Visionen, und ich bin … nur hier und kann nur weiße Wände anstarren. Ich wollte, ich könnte die Hand ausstrecken und Dich berühren. «
Drei Wochen nach dem Unfall – dem ich ohne die geringste Verletzung entkam –, schrieb sie mir diesen Brief aus dem Krankenhaus in Paris, in das ihr Mann sie gebracht hatte. Als ich ihn las, da dachte ich, es würde mein letzter Brief von ihr sein, aber einen Monat später erhielt ich noch eine kurze Nachricht, und das war dann wirklich der letzte. Aus verschi e denen Gründen, zureichenden oder unzureichenden, beantwo r tete ich keinen von beiden.
2
Siehe, mein Geliebter, du bist schön und lieblich
Unser Lager ist grün
Die Balken unsres Hauses sind Zedern,
Unsere Täfelung Tannen.
»Hör auf «, sagte ich. Ich hob die Ausgabe von Le Deputation vom Fuß des Bettes auf und klopfte sanft auf ihren Kopf. »Es ist zu früh am Tag, Gedichte zu rezitieren. Lies stattdessen ein wenig Henry James. «
»Dein Französisch ist grässlich . « Sie richtete sich auf und blinzelte zum zugezogenen Vorhang. »Wie spät ist es? Scheint bereits ein sonniger Tag zu sein. « Sie streckte sich, wobei sie die Arme in einer Art und Weise über den Kopf hob, die mich an primitive Skulpturen denken ließ, ganz Vitalität und Animismus.
Ich sagte ihr die Uhrzeit: Sieben Uhr dreißig.
»Ziehen wir uns an und besuchen das Theatre Antique und Les Alyscamps. Sie werden dir gefallen, und mich freut es, sie wieder zu sehen . Dann können wir Mittagessen gehen und auf dem Boulevard des Lices etwas trinken. «
Als wir unsere Reise in Paris planten, hatte sie von dieser früheren Reise gesprochen, die sie mit ihrer Mutter unte r nommen hatte, um der Familie ihres Vaters zu entkommen. Es war eine Keystone-Kops-Tragikomödie gewesen – sie waren Anwälten entflohen, indem sie sie aus Taxis hinauswarfen oder in letzter Minute auf an fa hrende Züge aufsprangen. Sie waren vor Beginn der Dämmerung in Arles aufgebrochen, wobei sie versehentlich einen ihrer Koffer zurückgelassen ha t ten, und waren in einem klapprigen Bus nach Abc gefahren, wo ihre Mutter darauf bestanden hatte, im teuersten Hotel zu wohnen, das sie finden konnte. Wenngleich es nicht geplant war, vollzog unsere Reise einige Stufen des damaligen hekt i schen Sommers nach.
Als wir das Hotel Gauguin verließen, gingen wir in einen we i teren wolkenlosen Tag hinaus, der barbarisch, tropisch heiß war. Hitzeflimmern stieg von unserem staubigen Auto auf, die
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