Straub, Peter
paar Sekunden bis mir klar wurde, dass er betete; er wippte sanft auf den Füßen und hatte die Hände fest vor dem Mund gefaltet.
3
»Natürlich habe ich gebetet. Ich finde, man kann überall beten, auch wenn man eigentlich nicht genau weiß, wofür man betet, und warum. «
»Ich finde nicht, dass das logisch klingt «, sagte die Frau.
»Wahrscheinlich nicht, aber weshalb sollte es logisch kli n gen? Es ist keine rationale Tätigkeit. Ein Gebet ist nur eine Verrichtung, eine Handlung. Das ist alles. Es kommt nur auf die Absichten an. « Magruder lächelte sie an, dann griff er nach seinem Bier auf der Tischplatte, das der Kellner am Rand des Tisches auf einem Tablett abgestellt hatte. Ich sah, dass immer noch einige Grashalme an seinem verschwitzten Baumwol l hemd klebten.
»So können Sie etwas nicht verteidigen «, sagte ich. »Oder besser gesagt, mit diesen Worten könnten Sie alles rechtfert i gen. Im College hatte ich einen Freund, der behauptete, seine Kurzgeschichten wären langweilig, weil sie von langweiligen Menschen handelten. «
»Ich meinte «, sagte die Frau, »mir ist nicht klar, weshalb der Platz, wo man betet, eine Beziehung zu den Gründen hat, weswegen man betet. «
»Man könnte sagen, das ist eine Frage der Atmosphäre «, antwortete Magruder. »Beten ist eine Reaktion auf etwas. Man kratzt sich, weil es juckt. «
»Und wenn die Atmosphäre ein Gebet verlangt, dann beten Sie einfach, ganz egal wofür? «
»Alle Gebete sind eins. Abgesehen davon finde ich Ihre Vorstellungen großartig. Es kommt hauptsächlich darauf an, alles am Rollen zu halten. Man muss sich zum Narren machen, dann versteht man alles. «
Er bis in sein Sandwich und unterbrach damit unsere Ve r suche, seine Religion zu verstehen. Ich sah mich auf der Te r rasse des Cafes um. Alle Tische waren besetzt. Al s w ir den umzäunten Teil mit den Tischen des Boulevard des Lices e r reichten, hatte ich mich nach dem Mann in der gelben Jacke umgesehen, aber er war nirgends zu sehen gewesen, weder in diesem Cafe, noch in den anderen, an denen wir vorbeig e kommen waren.
»Wie lange werden Sie noch in Arles bleiben? « Magruder hatte diese Frage gerade Sandwich kauend gestellt, als ich am Rand meines Gesichtsfeldes etwas Gelbes sah. »Wir reisen heute ab «, hörte ich die Frau sagen, während ich in der Menge nach Touristen Ausschau hielt, die am Cafe vorbeischlende r ten. Dann sah ich das Paar erneut. Aus dieser Entfernung s a hen sie Charles und Esther La Rochelle noch ähnlicher. Ich legte der Frau die Hand auf den Arm.
»Da sind sie wieder. Erinnerst du dich an sie? «
Sie sah mich an.
»Bin gleich wieder da «, sagte ich. »Ich muss etwas überpr ü fen. «
Während ich meine Erklärung gab, holte ich zwei Zeh n francscheine aus dem Geldbeutel und legte sie auf den Tisch. »Ich muss meine Geister sehen. Trinkt noch etwas, ich bin gleich wieder zurück. « Magruder wandte die Augen von der Frau ab und lächelte mich an.
Als ich mich zwischen den Tischen hindurchgezwängt hatte und auf dem Gehweg stand, konnte ich das Paar nicht mehr sehen. Aber ich wusste , in welche Richtung sie gegangen w a ren, als sie an uns vorbeigingen, und ich glaubte, ich könnte sie innerhalb eines Blocks oder so einholen, wenn sie nicht vom Boulevard abgewichen waren. Sie waren mit der G e schwindigkeit eines Paares in mittleren Jahren gegangen, das keine Eile hat, und ich vermutete, dass es nicht länger als zehn Minuten dauern würde, sie wieder zu finden und mich zu ve r gewissern, dass mein Verdacht nicht zutraf, dass es sich bei dem Paar nicht um Charles und Esther La Rochelle handelte.
Auf dem Gehweg drängten sich Touristen. Ich musste zwei verschiedenen Gruppen französischer Teenager vor mir au s weichen, dann behinderte mich ein Paar, das schon beinahe grotesk dick war. Der Mann hatte seine Frau untergehakt, z u sammen beanspruchten sie den gesamten Gehweg für sich. Eine Schlange ungeduldiger Passanten ging auf der Straße an ihnen vorbei, und ich hüpfte hinter ihnen auf und ab und ve r suchte, die gelbe Jacke zu sehen, dann hüpfte ich auf die Str a ße und versuchte, mich durch den entgegenkommenden Strom zu drängen. In dem Augenblick, als ich auf die Straße trat, stieß ich mit einem Mann mit Nickelbrille zusammen, der mich böse anfunkelte, dann aber vorbei ließ. Einen Auge n blick sah ich voraus die gelbe Jacke und das gelbe Haar der Frau; sie verweilten einen Block weiter vor einem Geschäft. Ich umging die Schlange
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