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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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Treppe he r unter. Sie fingen an, um das gegenüberliegende Ende der Bü h ne herumzugehen, wo sie, wie wir, die Steine betrachteten. Das Mädchen schaute zu uns herauf, dann blickte sie nervös zu dem jungen Mann, als wäre sie überrascht, uns zu sehen. Ich wandte den Blick ab, weil es mir peinlich war, dass sie mich dabei erwischt hatte, wie ich sie anstarrte, und sah zu den fernen Säulen und den Bäumen hinüber, unter denen das ältere Paar verschwunden war. Mir wurde klar, dass wir genau an der Stelle saßen, wo die › La Rochelles ‹ gesessen hatten, als wir die Stufen herunterkamen. Ich nahm mir vor, heute Abend genau in die Cafes hineinzusehen.
    Magruder schlug sich mit den Händen auf die Schenkel. »Verdammt großartig, nicht? Der Stein ist so weiß, dass er wie Salz aussieht! « Er stand ebenfalls auf. Ich konnte einen stre n gen, sauren Schweißgeruch an ihm wahrnehmen. Sein blaues Hemd war voller feuchter Flecken.
    »Es muss ein großes Theater gewesen sein «, sagte die Frau. »Hier könnte man perfekt den Somtnernachtstraum auffü h ren. «
    »Sie und Ihre Bücher «, sagte Magruder und wischte sich die Stirn ab. »Wenn Sie einen Geist gesehen haben, dann muss es der von Shakespeare gewesen sein. Oder von Henry James. « Sie lachte.
     
    Magruder ging mit uns nach Les Alyscamps, von Mr. Mich e lin und seinen Nachfolgern › le plus celebre nicropole du mo n de ‹ genannt. Er mochte das Wort nicropole und machte seine Sp ä ße damit, während wir die Rue de President Wilson hinab zum Boulevard des Lices gingen, am Park vorbei und dann durch die Allee, die zu Alyscamps führte.
    »Kommt mit mir zum Nekropol, nicht zum Nordpol, O N e kropol, sie werden dir die Haare kämmen und die Lippen schminken , Lasst eure Sorgen draußen, aber mich könnt ihr nicht in eurem Nekropol einsperren, ich gehe lieber zum Ba r bierpol im Hotel Provencal! « Er sang zu mehreren Melodien, angefangen mit Avalon, er hörte mit Granada auf. Die Passa n ten um uns herum starrten Magruder an, der so achtlos Unsinn über einen Friedhof hinausschmetterte. Er schien es nicht zu bemerken.
    Les Alyscamps beginnen mit einem langen, staubigen Schotterweg, der von Bäumen gesäumt ist, dazwischen Stei n sarkophage, in die Passanten Zigaretten kippen, Zeitungen und Bonbonpapier geworfen haben. In diesen Sarkophagen ruhten einst die sterblichen Hüllen römischer Soldaten, sie waren mit Verzierungen geschmückt und innen wie die Leichen geformt, die darin lagen. Heute sind die Leichen verschwunden, ohne eine Spur hinterlassen zu haben, die Sarkophage verwittert. Der Weg wird von Bäumen überschattet, die zwischen den entweihten Gräbern stehen, der Pfad selbst ist kühl un d w egen der Schatten angenehm abwechslungsreich, und zwar bis d i rekt zur Kirche St . Honorar, die am Ende desWeges im So n nenlicht steht wie eine oft besiegte alte Frau, die sich dennoch weigert, auch nur einen Zentimeter zu weichen. In der Kirche selbst gibt es eine Vielzahl von Sarkophagen und Gräbern, teils leer, teils in Gebrauch.
    Die Frau und ich hatten draußen vor der Tür verweilt, um dann in die Gruft zu gehen, die drinnen errichtet worden war, und als wir die dunkle Kirche betraten, sahen wir Magruder zuerst nicht. Der kalte Steingeruch des Inneren und die Fi n sternis wirkten auf die Sinne betäubend. Sekunden, nachdem wir die Kirche betreten hatten, kam ich mir vor, als wäre ich in einem Salzkeller eingesperrt. Dann wurden im Dunkel allmä h lich Einzelheiten deutlich, in Stein gemeißelte Gesichter, eine riesige Rosette an einer Wand. Die Beschaffenheit des Inneren begann sich zu offenbaren. An einer Seite konnte ich eine gr o ße Kammer sehen, die an der gegenüberliegenden Wand in zahlreiche leere Krypten unterteilt war. Vor uns, von der Wand mit der Rosette abgeteilt, waren zwei Räume mit Alt ä ren. Beide schienen gleichermaßen verlassen zu sein, auf be i den lagen Bruchstücke von Steinen, auf allem lastete die drü c kende Atmosphäre von Jahrhunderten ohne Sonnenlicht. Ich ging in den Raum links von mir und sah zur Decke hinauf, und als ich ins zentrale Kirchenschiff zurückkam, stieß ich beinahe mit der Frau zusammen, die vor einer kleinen Kammer stand, die mir gar nicht aufgefallen war, als wir eingetreten waren. Etwas schien sie zu verwirren. Als ich fast gegen sie stieß, fl ü sterte sie mir zu: »Schau dort hinein. Siehst du ihn? «
    Ich sah in die dunkle Kammer. Magruder kauerte über e i nem uralten Grab, und es dauerte ein

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