Straub, Peter
konnte die Gasse entlang. Meine Absätze erzeugten schallende Laute auf dem Kopfsteinpflaster, die durch die ganze Straße hallten.
Während ich lief, überlegte ich mir, dass sie auf der Straße nach links in Richtung Innenstadt gegangen sein mussten , a n statt zum Boulevard zurückzugehen. Wenn sie lediglich sp a zierengingen, dann waren sie bereits auf dem Boulevard gew e sen; wenn sie mir entkommen wollten, dann konnten sie das in den schmalen Straßen der Altstadt besser tun. Die senkrechte weiße Säule am Ende der Gasse wurde breiter, mehr Einze l heiten ersichtlich: ein Mädchen im Badeanzug, eine Aut o schlange, eine Gruppe alter Männer, zwei Frauen in schwarzer Witwenkleidung. Als ich den Weg durch die Gasse zur Hälfte zurückgelegt hatte, fing das Seitenstechen wieder an, und als ich aus der Mündung der Gasse in die Rue Jean Jaures stürzte, schien meine gesamte Seite in Flammen zu stehen.
Hätte ich sie nicht in diesem Augenblick gesehen, wäre ich umgekehrt und zum Cafe zurückgegangen. Der lange Lauf durch die Gasse hatte mir Atem und Entschlossenheit geraubt. Nachdem ich die Gasse hinter mir hatte, hörte ich auf zu la u fen und schritt keuchend weiter. Dann sah ich sie. Sie waren zwei Blocks voraus in der dünneren Menge, die zum Regi e rungsviertel hinaufging. Die gelbe Jacke des Mannes leuchtete wie eine Fahne im Wind. Was auch immer sie bisher gemacht hatten, jetzt schlenderten oder bummelten sie nicht mehr. Der Mann in der gelben Jacke hatte seinen Arm unter den der blonden Frau gelegt und schien sie voranzutreiben, und zwar schneller als sie laufen konnte, denn sie stolperte einmal gegen ihn. Er zog sie grob wieder hoch und ging weiter, wobei er sie mit sich riss . Wie ich Charles La Rochelle nach unserer B e gegnung vor vier Jahren einschätzte, entsprach dieses Verha l ten genau seinem Charakter. Von diesem Augenblick war mir klar, dass ich ihn erwischen musste .
Als ich wieder etwas zu Atem gekommen war, lief ich wi e der los, den langen Block entlang bis zum Platz. Als ich mich ihnen bis auf zehn Meter genähert hatte, verschwanden sie plötzlich. Zwischen uns waren keine Menschen mehr, abges e hen von dem Mädchen im Badeanzug und den beiden Witwen, die ich zuvor gesehen hatte; vor uns befand sich ein großer Platz, der ringsum von Gebäuden gesäumt war und keinen Z u gang hatte, abgesehen von der Straße, auf der wir uns befa n den. Ich sah nur die rechte Hälfte des Platzes, aber den hatten sie nicht betreten, abgesehen davon hielt sich dort niemand auf, außer einer Gruppe Müßiggänger und einem großen ju n gen Mann, der die Kirche St. Trophime fotografierte. Das Paar war auf mittlere Entfernung nirgendwo zu sehen, weder auf dem Platz noch auf der Straße.
Weitere zehn Sekunden Laufen bewiesen das eindeutig. Ich rannte auf den fast menschenleeren Platz: Stadthalle, Geschä f te, Kirche, triste graue Fassaden über dem Kopfsteinpflaster. Der junge Mann und seine Kamera. Zwei Männer mit blauen Mützen und ausgebeulten weiten Hosen saßen auf der Treppe des Hotel de Ville, zwei andere lehnten am Becken des Springbrunnens. Es war denkbar, dass das Paar ins H o tel de Ville geeilt war, um durchzugehen und auf der anderen Seite am Place de Cour wieder herauszukommen, aber in diesem Fall hätte ich sehen müssen, wie sie den Platz betraten. Da s selbe Argument entkräftete die Möglichkeit, dass sie in die Kirche gelaufen waren, um irgendwo zwischen ihr und dem Theatre Antique zu verschwinden. Sie konnten nirgendwo sonst hingegangen sein. Irgendwie hatten sie sich in Luft au f gelöst.
Ich stand in der Mitte des Platzes und drehte mich verwirrt von einer Seite auf die andere. Ich versuchte, mich an die Pos i tion des Paares in Gelb zu erinnern, als ich sie aus den Augen verloren hatte. Ich war nicht weiter als einen normalen Block von ihnen entfernt gewesen, und die drei Menschen vor mir hatten mir den Sichtkontakt nur einen Augenblick lang u n möglich gemacht, als sie auf die Kirche zugingen, die der ju n ge Mann fotografiert hatte. Ich hielt verzweifelt nach dem ju n gen Mann Ausschau. Er stand vor dem H o tel de Ville und machte eine Aufnahme von dem Springbrunnen. Seine Kam e ra klickte.
»Merci, Monsieur «, sagte ich zu ihm. »Avez-vous vu un komme dans jaune? Avec une femme? « Innerlich verfluchte ich mein unzureichendes Französisch.
Der junge Mann drehte sich zu mir herum, sein Gesicht ha t te einen Ausdruck höflicher Verständnislosigkeit angeno m men. »Pardon, je
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