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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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gewesen. Anstatt einzusehen, dass ich von der Frau besessen war und dass in einer solchen Besessenheit das Auge eines Tigers brennt, eine Sonne, die den Körper verzehren kann, redete ich lediglich zusammenhanglos, die Worte ein Beweis für meine Verwirrung.
    In diesem Augenblick könnte ich eine Karte von Aix zeic h nen, könnte die Gesichter, Gesten und Kleidung von Dutze n den Leuten beschreiben, die ich dort gesehen habe, auch wenn es nur für einen Augenblick war. Als wir durch die Stadt gi n gen und versuchten, mit dem neuen Sachverhalt fertig zu we r den, sah ich mit vollkommener Klarheit. Meine Augen, au f grund meiner Verwirrung von der Aufgabe der Beurteilung befreit, nahmen alles auf. Ich hatte die zähe, unverdaubare Haut eines Buschtieres gegessen, ich hatte glühende Kohlen geschluckt; die Außenwelt ätzte sich ungehindert in meine Sinne ein.
    Am ersten Tag schlenderten wir den Cours Mirabeau en t lang und gingen langsam zum Place de la Liberation hinab, wo sich die Cafes befinden, deren Tische, schmutzigweiße Tupfer, im Halbkreis um den Rokokospringbrunnen auf der Straße n mitte angeordnet sind. Dort hatten wir Magruder zum letzten Mal gesehen. Inmitten meines Schmerzes verspürte ich eine unerwartete Aufwallung von Mitleid: der arme impotente M a gruder.
    »Ich muss mich setzen «, sagte ich. »Mein Magen frisst sich selbst auf. Trinken wir etwas und ruhen wir uns aus. «
    Sie zuckte die Achseln. »Es ist halb elf. Ist das nicht ein bisschen früh für einen Drink? «
    »Nicht, wenn man so eine Nacht hinter sich hat wie ich. « Das stimmte: Ich konnte beinahe spüren, wie sich die Haut vor Müdigkeit von meinen Knochen schälte. Heute Morgen im Spiegel hatte mein Gesicht die Farbe von alter Milch gehabt. »Sag mir, hast du geglaubt, ich würde dich einfach beglüc k wünschen und dann die ganze Sache vergessen? Ich finde, du hast alles in den Schmutz gezogen, was zwischen uns war. Das ist das einzige Problem, das ich habe. «
    Sie setzte sich schweigend. Zwei oder drei Minuten saßen wir wortlos nebeneinander und sahen den Jungen und Mä d chen in ihren Glockenröcken und Tüchern nach.
    »Tut mir leid «, sagte ich. »Ich wollte dich nicht anschreien. Ich verstehe nur einfach nicht … diese Komplikation. «
    »Ist es einfacher für dich, wenn ich sage, dass ich es getan habe, weil ich es tun wollte? Und am Ende wurde es so eine Komödie! Wir haben nichts anderes getan als über dich g e sprochen. «
    Eine Komödie, denke ich: der lion, der tigre. Meine lange Verfolgung zur Arena. Und die beiden lagen derweil nackt in Magruders schäbigem Zimmer, während die Frau ihn reizte und aufgeilte – ich wusste nur zu gut, wie das aussah! –, bevor sie sich lachend zurücksinken ließ und nebensächlich von u n serer Affäre sprach. Entspann dich, hatte sie sicher zu ihm g e sagt, es ist nicht so wichtig.
    »Ich brauche einen Drink. « Der Kellner kam, ein herabla s sendes Phantom. Die Frau nahm eine demitasse, ich einen Pernod.
    »Ich weiß, wir sind frei «, sagte ich. »Ich weiß, dass wir a l les tun können, was uns Spaß macht. Ich kann mir sogar vo r stellen, dass es dich geärgert hat, als ich einfach so weglief und dich im Stich gelassen habe. Aber das alles weiß ich nur mit dem Kopf. Es ist wirkliches Wissen, doch es beeinflusst nicht das, was mein Körper empfindet. Für mein Innerstes ist dieses Wissen lediglich etwas wie Geometrie, ein System. Ich komme nicht über das Gefühl hinweg, dass du auf der unte r sten Ebene mir gehörst. Du gehörst mir. Das empfinde ich wirklich. «
    Sie berührte meine Hand. »Ich weiß «, sagte sie. »Ich wünschte nur, du wärst deswegen nicht so ein Dummkopf. «
     
    Der Pernod beruhigte zwar meinen Magen, aber dennoch ve r krampfte er sich beim Gedanken an Essen, daher ging ich ins Hotel zurück, während die Frau weiter durch die Stadt bu m melte. Um ein Uhr kam sie auf unser Zimmer, wo wir eine ähnlich geartete Unterhaltung hatten.
    Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ich hoffe, du wirst nicht drei Tage brütend und brabbelnd in diesem Hotelzimmer verbringen «, sagte sie. »Warum gehst du nicht unten etwas essen und gehst dann heute Nachmittag mit mir aus? Wir könnten durch das Universitätsgelände schlendern. Ich erinn e re mich, dass es dort oben einige herrlich winkelige Alleen und Innenhöfe gibt, die meine Mutter so liebte. «
    »Du hast ein phänomenales Gedächtnis «, sagte ich. Obwohl ich es nicht zugab, war › brütend und brabbelnd

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