Straub, Peter
die Schmerzen unvermittelt zunahmen und ich noch einen bestellte, verharrte er ängstlich abwartend in der Nähe unseres T is ches. »Fitzgerald muss ei n mal hier gewesen sein «, sagte ich. »Wahrscheinlich rechnet er damit, dass ich anfange, Sachen in der Gegend herumz u schleudern. «
»Er hätte dich gestern morgen sehen sollen «, sagte sie.
Mich schockierte die Widerspenstigkeit meines Körpers. Ich war der Meinung, ich wäre, wenn auch nur unter Schwi e rigkeiten und unzureichend, mit den verschiedenen Gefühlen zurechtgekommen, die meine Schmerzen verursacht hatten. Wenn diejenigen, die das Schwert erhoben, durch das Schwert umkommen sollten, dachte ich, wenngleich es fraglich war, ob dieses alte Sprichwort zutraf, dann war es in gewisser Weise recht, dass ich so leiden musste ; die Frau selbst hatte zu mir von der körperlichen Vielfalt gesprochen, mit der wir einander erfüllten. Dasselbe körperliche Wohlbefinden hatte ich ve r spürt, als ich an meinem letzten Abend in London die Klingel von Sheila Goldsmiths Wohnung betätigte. Aber jetzt, dachte ich, warum jetzt? Ich hatte gelernt, was ich lernen musste . Mich quälte die zeitliche Verschiebung zwischen der Reaktion des Intellekts und der Reaktion der Sinne. Verstehen war keine Heilung. Die Beklemmung in meinem Innersten belastete mich wie ein armer Verwandter, ein liederlicher Freund, eine Pr ä senz, die ich nicht so ohne weiteres abtun konnte – sie hatte mich im Griff. In einem kleinen Laden kaufte ich eine Flasche Brandy als Medizin und trank ab und zu einen Schluck daraus, während wir auf dem feuchten Trottoir dahinschritten. Alk o hol tat meinen Schmerzen besser als Nachdenken. Während der tatsächliche Schmerz nachließ, wurde mein Bewusstsein desselben klarer und klarer, bis es zu einem dumpfen Pochen in meinen Eingeweiden geworden war und vor mir her zu schweben schien – in der feuchten Luft beinahe wie etwas Greifbares, das ich begutachten konnte. Aber wann immer ich einen konzeptuellen Griff d an ach tun wollte, wich es in eine Meter entfernte metallene Scheibe zurück.
»Wenn wir dort sind, wirst du betrunken sein, Owen «, mahnte die Frau. »Wie geht es dir? «
Aber ich wurde nicht betrunken; jeder Schluck Brandy schien mich der Klarheit näher zu bringen. »Viel besser «, sa g te ich, und das war nicht gelogen. »Heute Mittag werde ich etwas essen können. Mir ist, als würde ich dich jetzt besser verstehen – wenigstens verstehe ich die Gründe jetzt ein wenig besser. «
Sie lachte, eine Folge glockenheller Laute. »Owen und se i ne Gründe «, sagte sie. »Da gibt es nichts zu verstehen. Du stellst immerzu Kompromisse über die Fakten. Ich liebe dich ständig mehr. Ich glaube, nichts kann je zwischen uns ko m men – wir können so weitermachen, bis wir zwei alte Mu m melgreise im Rollstuhl sind. «
Die schimmernde Metallscheibe schien ein wenig näher zu mir heranzuschweben, mein Magen meldete sich. »Das Pr o blem ist, dass ich mein Nervensystem nicht beruhigen kann «, sagte ich. »Ich wünschte, ich könnte es. « Ich trank wieder e i nen Schluck aus der Flasche.
»Ich bin froh, dass du das nicht kannst «, sagte sie. »Wenn du es könntest, würdest du dich nie verlieben. Du würdest dich immer bedeckt halten. «
»Nein, das stimmt nicht «, sagte ich. Dann, in einem Anflug von Inspiration, wie ich fand: »Ich glaube, ich wäre immer verliebt – jede Minute. « Aber als ich es gesagt hatte, hörte es sich nicht richtig an. Was hatte ich gemeint, überlegte ich; während wir den Hügel hinauf, an Hecken und vergammelten Häusern vorbeigingen, dachte ich darüber nach, und dann empfand ich es als Wissen, nicht als Gedanken: Ich würde die Vielfalt der Gefühle konservieren, die Intensität, welche die Frau anfangs in mir entfacht hatte, extremen Schmerz und e x tremes Glück, alles bedingt durch das physische Bewusstsein , das sie mir beschrieben hatte. Diese Leidenschaft! Was sonst hatte die winzigen Linien um ihren Mund herum gezaubert, die von der Sonne vertieft worden waren? Für mich waren sie ein Eisengitter von Gefühlen um das Selbst herum. Innerhalb dieses Gitters konnte man bis ins Innerste durchbohrt und als lebendiges Ganzes definiert werden. Die Scheibe schien inne r halb meiner Reichweite zu sein. Ich trank noch einen Schluck von dem Brandy, und sie drang pulsierend in meinen Magen ein. »Mir geht es jetzt viel besser «, sagte ich. Und doch: Vie l leicht war ich ein Puritaner. Ich konnte meinen
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