Street Art Love (German Edition)
genau zu wissen, wo das ist, das werde ich gleich googeln. Ich will nicht uncool sein.
Charly schlenzt aus der Tür, und ich sehe ihm nach und lächele. Er trägt ein weites schwarzes T-Shirt und einen Hoodie und meine Jogginghose. Und die steht ihm richtig gut.
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KNAPP ZWEI WOCHEN SPÄTER treffe ich mich mit Charly in der Stadt. Zwei Wochen, in denen wir kaum miteinander geredet haben, in denen er es nicht geschafft hat, mir meine Jogginghose wiederzugeben, und in denen mir Maja wiederholt gesagt hat, dass ich Charly einmal ordentlich die Meinung sagen muss. Sie hat recht, er ignoriert mich in der Schule seit unserem Treffen noch mehr als vorher. Aber ihm die Meinung sagen? Warum? Er ist schließlich nicht mein Freund, und immerhin hat er versprochen, meine Jogginghose heute mitzubringen.
Meine Mutter fährt mich zu unserem Treffpunkt. Hackescher Markt. Mitten in der neuen Mitte, wie meine Mutter gerne sagt, denn sie ist in Westberlin geboren, und für sie gibt es immer noch den alten Westen und den neuen Osten und die neue Mitte im alten Osten. Für mich ist es einfach Berlin Mitte. Ein sehr aufregender Ort, der sehr weit von der friedlichen Außenbezirksgegend entfernt ist, in der wir wohnen. Ein Ort voller Überraschungen und Abenteuer, aber vorerst sehe ich nur eine Menge Touristen. Meine Mutter setzt mich ab, und ich muss versprechen, nicht zu spät nach Hause zu kommen, am besten, solange es noch hell ist. Es ist zwar Anfang Oktober, und es wird deutlich früher dunkel, aber es ist gerade mal zwölf Uhr, also denke ich, das kann ich versprechen, und meine Mutter fährt beruhigt davon.
Wir wollen uns am Eingang zu den Hackeschen Höfen treffen, und erstaunlicherweise ist Charly schon da, als ich dort ankomme. Er hält mir eine Plastiktüte hin.
»Hier, deine Hose! Und danke noch mal.«
Erst jetzt merke ich, dass ich gar nicht mehr damit gerechnet habe, die Hose jemals wiederzusehen. Ich lächele ehrlich erfreut und packe die Tüte gleich in meinen Rucksack. Charly sieht mich überrascht an.
»Willst du nicht nachsehen?«
Wieso das denn?
»Nein, alles okay. Und? Wo fangen wir an?«, frage ich.
Er hat seinen Plan dabei und faltet ihn auf. »Ich glaube, wir müssen hier lang«, sagt er und sieht sich unsicher um.
Ich hole mein iPhone heraus und gebe eine Route ein. Ein blauer Strich schlängelt sich von unserem Standpunkt zu unserem Ziel. Charly sieht mich fragend an, ich zeige ihm das Display.
»Ich habe eine Banksy-App gekauft. Kostet nur neunzig Cent. Ich glaube, wir müssen hier lang.«
Ich zeige die Straße hoch. Charly sagt nichts, presst nur die Lippen aufeinander und bewegt sich nicht.
»Was ist?«, frage ich erstaunt, aber dann begreife ich. Er wollte den Stadtführer spielen, und nun komme ich mit meinem iPhone und einer coolen App.
»Wir können auch mit deinem Plan laufen …«
»Nein, schon okay.«
»Die App soll nicht so gut sein.«
»Doch, die ist bestimmt gut«, nuschelt er und sieht mich nicht an.
Wir gehen die Dircksenstraße entlang, und ich schaue auf die App, die leider wirklich nicht sehr genau ist. Irgendwo am Ende der Straße müssen die Bilder sein. Obwohl ich nicht genau weiß, warum irgendeine Wandmalerei so aufregend sein soll, schlägt mein Herz bei der Vorstellung höher, gleich einen echten Banksy zu sehen. Ich habe so viel über diesen Street-Art-Künstler gelesen und bin ein Fan geworden! Er will unbekannt bleiben, aber mittlerweile ist er ein richtiger Star und hinterlässt überall auf der Welt seine Sprayarbeiten.
Vor einer eintönigen grauen Hauswand bleibt Charly auf einmal abrupt stehen.
»Da!« Er zeigt auf eine schwarze Ratte, mit einer kleinen Aktentasche und einem aufgespannten Regenschirm, die aussieht, als würde sie über die Hauswand segeln. Mein Herz schlägt höher, ein echter Banksy , hier einfach so auf dieser Hauswand!
Charly ist noch viel aufgeregter als ich. »Wow, ist das nicht irre?«
Ich nicke begeistert. Ich kenne natürlich die Abbildungen, aber dies ist ein Original. Hier hat Banksy gestanden und in irgendeiner Nacht seine Schablone herausgenommen, sie gegen diese Hauswand gehalten und mit schwarzer Sprühfarbe dieses Bild angebracht. Wowowow! Ich muss sofort Fotos machen.
»Schau mal, wie sauber er das Stencil gesprayt hat«, sagt Charly.
Ich betrachte die Ratte, die wie ein kleiner Büroangestellter aussieht. Dazu passt nur nicht, dass sie an ihrem Regenschirm durch die Luft fliegt.
»Was will er damit wohl
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