Street Art Love (German Edition)
hört auf zu sprayen, lässt die Dose fallen, packt mich und rennt los. Ich stolpere hinter ihm her und versuche, mit Charly Schritt zu halten, der mich nicht loslässt und mit sich reißt.
»Was?«
»Zivis!«
Charly ist in den dunkleren Bereich des Geländes gelaufen, zurück zu dem flachen Gebäude. Auf der Rückseite zieht er mich zu Boden in das hohe Unkraut, wir pressen uns gegen die Wand.
Mein Herz schlägt wie verrückt.
»Zivis? Polizei?«
Charly nickt und legt den Finger auf die Lippen.
Okay, ich schweige. Wir hören Stimmen näher kommen.
»Hey, wenn wir euch kriegen, gibt es Ärger!«, brüllt der eine.
Ich fange an, mir zu wünschen, dass es die Polizei ist und nicht irgendwelche anderen Typen.
Charly sieht mich an, er trägt immer noch das Tuch über Nase und Mund, ich sehe nur seine Augen, seinen beruhigenden Blick, obwohl ich genau spüre, dass er unter Strom steht und jeden Moment bereit ist, weiterzurennen.
»Lass uns gehen, das waren doch nur Kids!«, sagt einer der Männer.
Ich halte den Atem an, erwarte die Antwort des zweiten.
»In Ordnung.«
Ihre Stimmen entfernen sich. Ich atme auf und will aufstehen, aber Charly hält mich zurück.
»Wir können hier nicht weiter, wir müssen wieder zum Ausgang und an denen vorbei«, flüstert er.
Ich lasse mich zurück gegen die kalte Wand sinken. Beim Rennen habe ich geschwitzt, jetzt zittere ich vor Kälte. Charly sitzt neben mir, er lauscht immer noch den Männern hinterher, dann entspannt er sich etwas.
Okay, wir warten. Aber – wie lange? Mir fällt ein, dass ich nach Hause muss. Ich zittere stärker. Und wenn wir hier die ganze Nacht sitzen müssen?
Charly dreht sich zu mir, sein Blick ist fragend. Er sieht mich an, zieht das Tuch herunter, und auf einmal ist etwas Neues, Weiches in seinem Blick.
»Hey …«
Er legt seinen Arm um mich, zieht mich leicht an sich, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Frierst du?«
Seine Lippen sind warm und seine Küsse leicht und zärtlich. Ich fühle mich wie ein Kind, das beruhigt werden muss, aber als er meinen Hals küsst und seine Lippen nach meinen Lippen suchen, verschwindet das Gefühl. Charly küsst, wie er sprayt, schnell und entschlossen und gleichzeitig gefühlvoll und intensiv.
»Deine Lippen sind ganz kalt!«, flüstert er, schlüpft schnell aus seiner Daunenjacke und legt sie mir um die Schultern.
Ich zittere nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Aufregung. Es ist, als ob unsere Körper sich besser kennen würden als unser Verstand, und ich kann nicht aufhören, Charly zu küssen und ihn anzusehen.
Als mein iPhone klingelt, wachen wir beide überrascht auf.
Es ist der Familienklingelton. Ich reiße mein Handy heraus. Neun Uhr. Meine Mutter.
»Ja?«
»Wo bleibst du?«
»Ich … also. Ich komme! Es dauert nur noch …«
Ich sehe Charly an, er zuckt mit den Schultern.
»Ist irgendwas? Wo bist du?«
»Ich …, es …, ich komme.«
»Okay. Nimm dir ein Taxi. Sofort.«
Meine Mutter legt auf.
Ich sehe Charly entschuldigend an. »Meine Mutter. Ich habe versprochen, um neun zu Hause zu sein. Sie muss weg.«
Charly nickt, steht auf und setzt sich seinen Rucksack auf. Ich will ihm seine Jacke zurückgeben, aber er winkt ab und lächelt. »Mir ist warm!«
»Und was machen wir jetzt?«, frage ich unsicher.
»Es gibt noch einen anderen Weg«, sagt Charly.
Wir lugen hinter dem Gebäude hervor. Niemand da.
»Komm, wir gehen!«, sagt Charly entschlossen.
»Aber die Männer?«
»Du musst schnell nach Hause, oder?«
Wir laufen zurück zu der Stelle, an der wir gesprayt haben. Ich sehe Charlys Tag zum ersten Mal, er hat es dicht an meines gesetzt, so als wären wir miteinander verbunden. Im Gras liegen noch die Spraydosen, Charly sammelt sie ein.
»Meinst du, wir sollen es einfach riskieren?«, frage ich und blinzele in die Richtung, aus der wir gekommen sind und wo ich die Männer als Erstes gesehen habe.
»Nein, wir gehen durchs Gebüsch. Ist etwas unbequem. Ist das okay?«
»Klar.«
[zurück]
ALS WIR DAS GELÄNDE VERLASSEN HABEN und auf dem Weg zum nächsten Taxistand sind, sind meine Leggins und mein Rock zerrissen und meine Turnschuhe voller Schlamm. Das alles stört mich nicht, denn wir sind den Männern entkommen und zusammen. Ich spüre immer noch Charlys Lippen auf meinen.
Trotzdem gibt es ein Problem, denn wenn ich nicht schnell nach Hause fahre, gibt es Ärger. Sogar großen Ärger.
Ich sehe ein Taxi am Straßenrand stehen und renne los. Diesmal reiße
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