Street Art Love (German Edition)
ich Charly mit.
»Hast du genug Geld?«
»Meine Mutter zahlt, wenn wir ankommen«, sage ich atemlos und spreche mit dem Fahrer. Ich nenne ihm die Adresse, und er grunzt zufrieden. Die Fahrt wird ihm bestimmt fünfzig Euro einbringen.
Hinten im Taxi sinke ich in die Ledersitze. Es riecht nach kaltem Rauch, aber da ist auch der Geruch von Charlys Jacke, eine Mischung aus Waschpulver, Lackfarbe und dem Geruch seiner Haut.
Wir schweigen die ganze Fahrt. Meine Mutter ruft noch mal an, und ich bereite sie darauf vor, dass ich im Taxi sitze und sie herauskommen und den Fahrer bezahlen muss. Es ist mittlerweile nach zehn Uhr, und an der Stimme meiner Mutter höre ich, wie aufgebracht sie ist.
In Zehlendorf Mitte lassen wir Charly heraus. Ich habe vorgeschlagen, dass wir ihn nach Hause fahren, aber so ist es ihm lieber.
»Dann bist du schneller da.«
Er steigt aus und winkt kurz, alles geht schnell, und als der Fahrer wieder anfährt, merke ich, dass ich immer noch Charlys Jacke trage.
Ich rufe meine Mutter an, und sie steht schon vor der Tür, als der Fahrer hält. Sie bezahlt, und ich husche ins Haus und in mein Zimmer. Ich stopfe Charlys Jacke schnell in meinen Kleiderschrank, ziehe meine dreckigen und zerrissenen Sachen aus und schlüpfe in meine Jogginghose und einen dicken Pullover.
Als meine Mutter von draußen hereinkommt, bin ich schon wieder unten. Es ist still im Haus, Max schläft bestimmt schon. Sie winkt mich in die Küche. Mit einem Seitenblick sehe ich, dass es kurz vor elf ist.
»Musst du nicht los?«, frage ich vorsichtig.
Der Blick meiner Mutter ist hart. »Was war?«
Ich setze mich, ziehe die Beine hoch und rolle meine Arme darum.
»Ich habe die Zeit vergessen. Wir haben … gearbeitet.«
»Wir reden morgen. Ich fahre jetzt.«
Sie trägt ein Abendkleid, ein aufwendiges Make-up, und ihre Haare sind frisiert.
»Und Max?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass er schläft.
»Er liegt im Bett. Er wollte, dass du noch mal reinkommst, aber ich denke, er ist irgendwann eingeschlafen.«
Sie schnappt sich ihre Tasche und den Autoschlüssel, der schon auf dem Küchentisch bereitliegt, und geht.
Ich bleibe noch einen Moment sitzen, dann stehe ich auf und gehe nach oben. Ich weiß, ich sollte Schuldgefühle haben und mich schlecht fühlen, aber ich grinse nur still vor mich hin. Charly und ich haben uns geküsst. Ich spüre die Verliebtheit am ganzen Körper.
Oben gehe ich zu Max ins Zimmer. Er schläft mit offenem Mund, auf seiner Bettdecke liegt eine Wachsstiftzeichnung, die er mir bestimmt zeigen wollte. Ein Mädchen in einem Kleid und ein kleiner Junge mit einem Fußball. Wenn er schläft, liebe ich meinen Bruder besonders. Ich lege die Zeichnung auf seinen Schreibtisch und verlasse leise den Raum.
In meinem Zimmer hole ich mein iPhone heraus und simse Charly.
Gut angekommen. Ich habe noch deine Jacke. Misss
Doch ich bekomme keine Antwort.
Ich hole Charlys Jacke aus dem Schrank, vergrabe meine Nase in dem Stoff und verstecke sie dann wieder.
Ich weiß, dass es morgen Ärger geben wird, aber das ist mir egal. Ich dusche, lege mich ins Bett und setze meine Kopfhörer auf. Und bei der Musik von Mumford & Sons schlafe ich schließlich ein.
[zurück]
AM NÄCHSTEN MORGEN weckt mich Max um neun Uhr. Bevor ich noch richtig wach bin, erzählt er vom Geburtstag und vom Zoo und wedelt mit seiner Zeichnung vor meiner Nase herum.
»Mama und Papa warten schon auf dich!«, kräht er aufgeregt.
»Und was ist mit dir?«
»Ich gehe gleich zu Theo zum Spielen.«
Es ist ein schlechtes Zeichen, dass meine beiden Eltern noch da sind und nicht in der Kanzlei, und als ich nach unten ins Wohnzimmer komme, sehe ich es sofort. Krisensitzung.
Ich sage kurz Guten Morgen und verschwinde dann schnell in der Küche, um mir einen Tee zu kochen. Kurz darauf klingelt es, und Max wird abgeholt. Vermutlich ein Teil der Planung, sie wollen allein mit mir reden. Ohne Max.
Mein Vater schaut in die Küche. »Kommst du bitte rüber!«
Ich habe mir früher immer vorgestellt, wie das wohl so ist, wenn meine Eltern vor dem Gericht ihre Klienten verteidigen. Wie energisch und entschlossen sie mit dem Richter reden und ihn von der Unschuld ihrer Mandanten überzeugen. So einen Anwalt könnte ich jetzt gebrauchen.
»Setz dich!«, sagt meine Mutter.
Ich schiebe mich auf die Kante eines Stuhls, so als würde es wohl schnell gehen und als könnte ich gleich wieder aufstehen. Ich erwarte, dass meine Mutter etwas sagt, aber
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