Streiflichter aus Amerika
stattfand. Ich war seit zwanzig Jahren nicht beim Basketball gewesen.
»He, heute abend spielt Dartmouth College«, verkündete ich aufgeregt, als ich nach Hause kam. »Wer kommt mit?«
Fünf Gesichter schauten mich mit einem Ausdruck an, den ich zuletzt gesehen hatte, als ich Campingurlaub in Slowenien vorschlug. »Okay, dann gehe ich allein«, sagte ich patzig. Aber schließlich erbarmte sich meine jüngere, damals elfjährige Tochter meiner und begleitete mich.
Also, es war wunderschön und wahnsinnig spannend. Dartmouth gewann mit knapper Not, und meine Tochter und ich schnatterten auf dem Weg nach Hause immer noch ganz aufgewühlt miteinander. Ein paar Abende danach gewann Dartmouth wieder haarscharf mit einem Korb Vorsprung in buchstäblich letzter Sekunde, und wir liefen wieder schnatternd nach Hause.
Da wollten die anderen auf einmal auch mitkommen. Und wissen Sie, was? Wir haben sie nicht mitgenommen! Das war unsere kleine Rache.
Seitdem, seit drei Spielzeiten, ist der Besuch der Dartmouth-Spiele für uns zur Tradition geworden. Es ist eine rundum herrliche Sache. Die Halle, in der die Mannschaft spielt, ist nur einen Katzensprung von unserem Haus entfernt. Die Eintrittskarten sind billig, und es kommen immer nur wenige, aber freundliche und loyale Zuschauer. Eine liebenswert doofe Band spielt kecke Weisen, um uns anzuheizen, und nach dem Spiel treten meine Tochter und ich in die nächtliche Winterluft und gehen munter plaudernd nach Hause. Wegen dieser Spaziergänge weiß ich, wer welches Spice Girl ist, daß Scream 2 voll geil und Matthew Perry so süß ist, daß man sich wegpacken könnte. Wenn keinerlei Möglichkeit besteht, daß uns eine Menschenseele sieht, faßt meine Tochter mich sogar manchmal an der Hand. Himmlisch.
Aber die Hauptsache ist das Spiel. Zwei Stunden lang schreien wir, winden uns und raufen uns die Haare und sind nur von der einen Hoffnung beseelt, daß »unsere« einen Ball öfter durch einen Ring bugsieren als »die anderen«. Wenn Dartmouth gewinnt, schweben wir in höchsten Höhen. Wenn nicht – auch egal. Es ist nur ein Spiel. So sollte Sport sein.
Im letzten Jahr war auch ein zwei Meter dreizehn großer Riese namens Chris im Team, der alles hatte, was zu echter Größe gehört, nur nicht die Fähigkeit, Basketball zu spielen. Folglich verbrachte er fast seine ganze Karriere am untersten Ende der Bank. Ganz selten einmal setzte man ihn in den letzten fünfzehn oder zwanzig Sekunden einer Partie ein. Und jedesmal warf ihm dann einer den Ball zu, und jemand Kleineres kam und nahm ihn ihm wieder weg. Dann schüttelte Chris bedauernd den Kopf und galoppierte wie eine Giraffe zum anderen Ende des Feldes. Er war unser Lieblingsspieler.
Traditionell ist das letzte Match der Saison »Elternabend«. Dann kommen die Eltern aus allen Himmelsrichtungen herbeigeflogen und sehen zu, wie ihre Söhne spielen. Traditionell werden auch beim letzten Heimspiel die Studenten, die ihren Abschluß machen, am Anfang eingesetzt.
Diese Begegnungen haben keinerlei Bedeutung, aber die Neuigkeit hatte unseren schlaksigen Helden offenbar noch nicht erreicht. Hypernervös und mit angespannter Miene betrat er die Arena. Das war nun seine erste und letzte Chance zu glänzen, und die würde er nicht vermasseln.
Der Schiedsrichter pfiff. Unser Chris rannte vier-, fünfmal das Feld hinauf- und hinunter, wurde dann zu unserer und seiner Bestürzung herausgenommen und ging zur Bank. Er hatte höchstens eine Minute gespielt. Er hatte nichts falsch gemacht – dazu hatte er gar keine Gelegenheit gehabt. Er nahm seinen üblichen Platz ein, warf seinen Eltern einen entschuldigenden Blick zu und sah dem restlichen Spiel mit tränenfeuchten Augen zu. Jemand hatte vergessen, dem Trainer zu sagen, daß Gewinnen nicht alles ist.
Diese Woche hat Dartmouth das letzte Heimspiel der Saison. Und es gibt, glaube ich, zwei Spieler, die ein, zwei Alibiminuten lang über das Spielfeld trotten dürfen und dann von fähigeren Leuten ersetzt werden.
Meine Tochter und ich haben beschlossen, nicht hinzugehen. Vollkommenheit zu finden ist schwer genug, da möchte man nicht sehen, wie sie verdorben wird.
Gestern nacht auf der Titanic
»Am Abend des Untergangs boten unsere Dinnertafeln einen prächtigen Anblick! Die prallen Trauben zuoberst auf den Obstkörben auf jedem Tisch waren ein Gedicht, die wunderbaren mannigfaltigen Speisen eine einzige Versuchung. Ich blieb von der Suppe bis zu den Nüssen.« (Titanic-Passagierin
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