Streiflichter aus Amerika
oder wieder zu Bleistift und Papier zu greifen.
Wie lob ich mir die Diners
Als meine Familie mich vor ein paar Jahren ausschickte, einen Wohnort in den Staaten zu suchen, zog ich auch die Stadt Adams, Massachusetts, in Erwägung, weil sich in der dortigen Main Street ein wunderbar altmodischer Diner befand.
Leider sah ich mich gezwungen, Adams von der Auswahlliste zu streichen, weil ich mich später an keinen anderen Vorzug der Stadt erinnern konnte, möglicherweise, weil es keinen gab. Trotzdem glaube ich, daß ich dort glücklich geworden wäre. Diners können einen glücklich machen.
Einstmals waren sie ungeheuer beliebt, doch wie so manches andere sind sie zunehmend selten geworden. Ihre besten Zeiten hatten sie direkt nach dem Ersten Weltkrieg, als die Kneipen wegen der Prohibition mehr als ein Jahrzehnt lang schließen mußten und die Leute was anderes brauchten, wo sie Mittag essen konnten. In geschäftlicher Hinsicht waren Diners durchaus reizvoll. Sie waren billig zu erwerben und unterhalten und wurden als Fertigbauteile praktisch komplett aus der Fabrik geliefert. Hatte man einen erstanden, mußte man ihn nur noch auf ein ebenes Stück Erde setzen, Wasser- und Stromanschluß besorgen, und es konnte losgehen. Wenn keine Gäste kamen, lud man den Diner auf einen Tieflader und versuchte sein Glück woanders. Ende der zwanziger Jahre stellten schon an die zwanzig Firmen Diners in Massenproduktion her, fast alle in stromlinienförmigem Art-déco-Stil, als »Stile moderne« bekannt und beliebt: außen glänzender Edelstahl, innen poliertes dunkles Holz und noch mehr blitzblankes Metall.
Dinerliebhaber sind Trainspotters nicht unähnlich. Sie können einem sagen, ob ein bestimmter Diner ein 47er Kullman Blue Comet oder ein 32er Worcester Semi-Streamliner ist. Sie kennen die Designdetails, die einen Ralph Musi von einem Starlite oder einem O'Mahoney unterscheiden, und fahren weit über Land, um einen seltenen, guterhaltenen Sterling anzuschauen, von dem zwischen 1935 und 1941 nur dreiundsiebzig gebaut worden sind.
Vom Essen ist selten die Rede. Und zwar aus dem Grund, weil es in allen Diners weitgehend identisch ist – das heißt, nicht sehr gut. Genau deshalb weigern sich meine Frau und meine Kinder ja auch, mit mir in einen zu gehen. Sie begreifen nicht, daß es weniger um Essen geht, als darum, einen wesentlichen Teil des amerikanischen kulturellen Erbes zu bewahren.
In meiner Jugend gab es in Iowa keine Diners. Sie waren vorwiegend ein Ostküstenphänomen, so wie Restaurants in Gestalt von Dingen (Schweinen, Donuts, Bowlerhüten) ein Westküstenphänomen waren. Einem Diner am nächsten kam bei uns ein Lokal am Fluß, das Ernie's Grill hieß. Es war von hinten bis vorn, einschließlich des Besitzers, schäbig und schmierig, und das Essen war ein Graus, doch es hatte alles, was zu einem Diner gehört: einen langen Tresen mit Barhockern, auf denen man sich schön drehen konnte, Sitznischen an einer Wand und Gäste, die aussahen, als hätten sie gerade ein paar große Tiere im Wald erlegt (womöglich mit den Zähnen). Wenn man etwas bestellte, rief die Kellnerin in einem für Diner typischen Kauderwelsch unverständliche verschlüsselte Botschaften in die Küche: »Zwei Klackse auf dem Maxe, Vorsicht mit der Brillantine, Schniegel im Tiegel und zweimal in den Eimer gehustet« oder etwas ähnlich alarmierend Geheimnisvolles.
Leider befand sich Ernie's Grill in einem stattlichen, anonymen Klotz von Backsteingebäude, dem es gänzlich an dem Art-deco-Glamour eines klassischen Diner mangelte. Als ich Jahrzehnte später ausgesandt wurde, ein Städtchen in Neuengland zu suchen, in dem man leben konnte, war deshalb ein Diner ganz oben auf meiner Wunschliste. Aber ach, sie sind immer schwerer zu finden.
Hanover, wo wir ja nun wohnen, hat ein alteingesessenes Speiserestaurant namens Lou's, das letztes Jahr seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert hat. Oberflächlich gesehen hat es das Ambiente eines Diner, aber auf der Karte stehen exotische Gerichte wie Quiches und Fajitas, und man ist stolz auf seinen frischen Kopfsalat. Die Gäste sind wohlbetuchte Yuppies. Daß einer von ihnen in ein Auto steigt, auf dessen Motorhaube die Jagdbeute verzurrt ist, ist eher unwahrscheinlich.
Sie können also meine Freude ermessen, als ich sechs Monate, nachdem wir nach Hanover gezogen waren, durch das Städtchen White River Junction hier bei uns in der Nähe fuhr, an einem Restaurant namens Four Aces vorbeikam, spontan
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