Streng vertraulich Kommissar Morry
des Mehrbetrages gibt es eine einfache Erklärung. Ich habe dem Toten die Geldbörse abgenommen — es waren zweihundertzwanzig Dollar darin.“
„Sie sind nie um eine Ausrede verlegen. Aber damit kommen Sie nicht durch!“
„Wenn Sie mir nicht glauben, bin ich bereit, Sie an den Ort zu führen, wo ich die Börse versteckt habe.“
„Sie haben sie versteckt?“
„Nicht versteckt — weggeworfen. Zusammen mit den alten Klamotten. Alles zusammen liegt im Walde unter einem großen Stein. Niemand wird es finden.“
Getty grinste hämisch. „Ich sehe, Sie haben sich gut präpariert. Sie haben auf alle Fragen eine Antwort. Aber das nützt Ihnen wenig. Ich brauche das Geld, Lee. Ich brauche es dringend — und ich bin nicht der Mann, der sich an der Nase herumführen läßt! Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit, um das Geld herbei zu schaffen. Wenn ich es bis dahin nicht in den Händen habe, ist es aus mit Ihnen! Haben wir uns verstanden?“
„Spielen Sie nicht den wilden Mann, Getty“, sagte Lee verärgert. „Mich können Sie mit derlei dummen Drohungen nicht schrecken. Ich habe das Geld nicht, zum Teufel!“
„Vierundzwanzig Stunden“, meinte Getty mit steinern anmutendem Gesicht. Er ging zur Tür. „Kommen Sie nicht auf den Gedanken, sich aus dem Staub machen zu wollen — das würde Ihnen wenig nützen!“
„Ich gehe, wohin ich will!“
„Sicher — Sie werden New York verlassen und das Geld aus seinem Versteck holen. Behalten Sie meinetwegen etwas davon für sich — aber wagen Sie nicht, mehr als ein Viertel zu unterschlagen!“ Lee lachte kurz und unlustig. „In meiner jetzigen Lage wäre ich schon für einen miesen Tausender dankbar — und Sie bilden sich ein, ich hätte McGraighs Millionen versteckt!“
„Vierundzwanzig Stunden!“ wiederholte Getty drohend. Dann verließ er das Zimmer.
*
Dinah vermochte nicht zu sagen, wann es begonnen hatte — aber sie glaubte, daß es am zweiten Tage ihres Aufenthaltes in Memphis losgegangen war. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war ihr nicht neu; sie gehörte zu den jungen, ungewöhnlich attraktiven Mädchen, die überall Aufmerksamkeit erregen, und sie war es gewohnt, daß die Männer sich nach ihr umdrehten. Aber diesmal war es anders. Es war bedrückend und sogar ein wenig unheimlich. Dinah wußte nicht, ob sie ein Opfer ihrer Einbildung geworden war, oder ob ihre Befürchtungen einen realen Hintergrund hatten.
Dinah fühlte sich verfolgt. Es gab dafür keine andere Bezeichnung. Man verfolgte sie! Freilich: sie hatte keine Ahnung, wer die Verfolger waren, und welche Motive sie leiteten.
Sie wußte nicht einmal, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelte, und sie konnte nicht im entferntesten sagen, welche Motive den Verfolger bewegten.
Manchmal fühlte Dinah sich versucht, mitten auf der Straße stehenzubleiben und zurück zu blicken, um die Gesichter der Passanten zu studieren. Sie wußte, daß das nicht fruchten würde. Die Fußgänger würden an ihr vorbeiwogen, und nur einige junge Männer würden voll Neugier in ihre Augen starren.
Sie überlegte, ob es ratsam sei, den Vater anzurufen und ihm von dieser merkwürdigen Entdeckung Mitteilung zu machen. Aber dann unterließ sie es — sie war immer sehr selbständig gewesen und hatte keine Lust, sich von dem Vater auslachen zu lassen. War sollte schon ein Interesse daran haben, sie zu verfolgen? Es gab dazu doch nicht den geringsten Grund! Aber das Gefühl, daß man hinter ihr her war, verdichtete sich immer mehr.
Dinah wohnte in einem kleinen Jagdhaus, das an einem Seitenarm des Mississippi lag Das Häuschen enthielt jeden Komfort — aber es lag weit entfernt von der nächsten menschlichen Behausung. Es besaß zwar einen Telefonanschluß, aber es war sehr die Frage, ob im Falle eines telefonischen Hilferufes die Polizei rasch genug zur Stelle sein würde, um noch etwas retten zu können. Die Anfahrt zu dem Häuschen war einfach zu lang.
Dinah nahm sich vor, am nächsten Tag entweder nachhause zurückzukehren, oder in ein Hotel zu ziehen. Sie faßte diesen Entschluß, als sie ihre Einkäufe — Lebensmittel für die nächsten drei Tage — in ihrem kleinen Sportwagen verstaute und wieder hinaus zur Hütte fuhr.
Nur auf der Landstraße hatte sie das Gefühl, wirklich frei atmen zu können. Wenn sie wollte, konnte sie den meisten Fahrzeugen nach Beheben davon fahren. Allein dieser Umstand trug dazu bei, dieses neue, bedrückende Gefühl, das sie bei sich scherzhaft
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