Stresstest Deutschland
machen ist natürlich nicht einfach – vor allem dann, wenn weder die Parteien noch die Medien ein Interesse daran haben, aus dem Volk »echte« Demokraten zu machen. Idealisten appellieren daher an den politischen Gestaltungswillen der Unzufriedenen – und rufen zur »Graswurzel-Revolution« auf, welch putziger Begriff. Da könnte man einem treuen Hund auch einen Dosenöffner geben, mit dem er sich von seinem Herrchen befreien kann. Selbst wenn die Möglichkeiten gegeben wären, die Parteienherrschaft durch aktive Bürgerpartizipation zu unterminieren, so würde dies doch zuallererst einen gestalterischen Willen und vor allem eine Idee voraussetzen, was überhaupt umgestaltet werden soll.
Der gestalterische Wille ist – zumindest in der Masse – nicht vorhanden. Was allerdings noch schwerer wiegt: Es ist nicht einmal eine konstruktive Idee vorhanden, die auch nur halbwegs konsensfähig wäre. Auch wenn viele Bürger gegen die Parteienherrschaft sein sollten, so ist es keinesfalls klar, für welche Alternative sie denn sind. Klare Präferenzen gibt es da nicht, bestenfalls ein indifferentes Rauschen.
Dabei wäre es eigentlich nicht sonderlich schwer, etwas zu ändern. Das politische System ist unglaublich stabil, da es unglaublich anpassungsfähig ist. Das Volk will einen Mindestlohn? Nun gut, wir wollen das zwar nicht, da schweigen wir das Thema lieber tot – der Wähler wird das schon wieder vergessen, er ist ja bekanntlich nicht nachtragend, und sein Langzeitgedächtnis gleicht einem Schweizer Käse. Sollte sich das Thema nicht totschweigen lassen, dann setzen wir uns halt an die Spitze und tun so, als hätten wir nie etwas anderes gewollt, wie es uns momentan die CDU vormacht. Der Wähler wird uns belohnen.
Die Stärke des Systems liegt im grenzenlosen Opportunismus seiner Repräsentanten. Nicht politische Inhalte, sondern der gemeinsame Wille zur Macht ist das Band, das die Parteifreunde zusammenschweißt. Sobald die Option auf die Macht und die besten Plätze an den Futtertrögen des öffentlichen Versorgungssystems schwindet, schmeißen selbst eingefahrene Ideologen ihre Ideale über Bord und werden zu Wendehälsen. Anders lässt sich die 180-Grad-Wende der Unionsparteien beim Thema Atomausstieg nicht erklären. Natürlich kann und darf es nicht zu jedem Thema ein eigenes Fukushima geben, um die blökende Berliner Politikerherde auf die richtige Weide zu treiben.
Um sich Politiker so heranzuzüchten, wie man es will, muss man Themen besetzen und selbst Agenden setzen – die Politik hat keine Wahl, als dieser Art bürgerlicher Partizipation hinterherzurennen. Ohne die Medien ist es allerdings schwer, Themen zu besetzen, und alternative Publikationsformen wie die NachDenkSeiten oder andere kritische Weblogs haben noch nicht die genügende Reichweite. Die Medien sind so gesehen die Schäfer-hunde,die es vermögen, die Herde in die gewünschte Richtung zu treiben. Mit Demokratie hat dies nur sehr wenig zu tun, und wenn man sich den desolaten Zustand der deutschen Medienlandschaft anschaut, gibt es nur schwerlich Grund zum Optimismus.
Die Achillesferse der Parteienherrschaft sind die Parteien selbst. Warum sollte man eine neue Partei gründen, wenn man eine alte Partei übernehmen kann? Wer mit der Politik der SPD nicht einverstanden ist, soll doch in diese Partei eintreten und dort Alternativen propagieren. Sollte eine kritische Masse von Systemverdrossenen die Parteien entern, geraten nicht nur die Positionen, sondern auch das Personaltableau gerät durcheinander. Die Parteien selbst sind nämlich sehr wohl demokratisch aufgebaut. Gerade Parteien, deren Macht in keinem Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl steht, wären denkbare Objekte für eine feindliche Übernahme. Würden tausend Systemverdrossene bei den saarländischen Grünen oder der dortigen FDP eintreten, stünden zwei Landesverbände der großen Parteien bereits unter der Herrschaft des Volkes. Damit wäre das grundlegende Problem aber nicht geklärt – was will das Volk, was wollen die Systemverdrossenen? Die gekaperten Landesverbände stünden da wie unser Hund mit dem Dosenöffner – was nun?
4 Wirtschaftspolitik: Kennst du das Land, in dem die Löhne blühen?
Um sich klarzumachen, was in diesem unserem Land politisch schiefläuft, lohnt sich eine Reise in unsere westeuropäischen Nachbarländer. Wer in den letzten Jahren einmal in Frankreich, Italien oder auch Spanien war, konnte sich einen Eindruck davon verschaffen, wie moderate
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