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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Berger
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bei seinem Modell bis zu einem Bruttojahreseinkommen von rund 40 000 Euro sogar stärker belastet werden, werden Spitzenverdiener ganz massiv entlastet. Wer mehr als 500 000 Euro pro Jahr verdient, spart mit dem Kirchhof-Modell mehr als die Hälfte seiner bisherigen Einkommensteuer. Ein Topverdiener wie Josef Ackermann würde dank des Stufenmodells mehr als zwei Millionen Euro pro Jahr sparen. Dies alles hat mit Steuervereinfachung überhaupt nichts zu tun, zumal nicht ersichtlich ist, warum ein Stufentarif für den Steuerzahler einfacher sein soll als ein Progressionstarif.
    Besonders im Kreuzfeuer der neoliberalen Kritiker stehen die sogenannten Steuerausnahmebestände und Abzugsmöglichkeiten. Was von diesen immer wieder als »Subventionen« verunglimpft wird, sind im Steuerrecht politische Steuerungsmöglichkeiten, die nicht selten sogar Verfassungsrang haben. Die Politik hat sich beispielsweise dazu entschlossen, sowohl Kinder als auch die normale Ehe finanziell zu fördern – nicht nur über Zuschüsse, sondern auch im Einkommensteuerrecht. Der Unterschied zwischen Lohnsteuerklasse eins und drei dürfte jedem bekannt sein, doch wer käme auf die Idee, dies als Subvention zu bezeichnen?
    Auch die sogenannten Werbungskosten und die Kilometerpauschale sind Subventionen, die einen politischen Zweck verfolgen. Mit den Werbungskosten sollen dem Steuerpflichtigen Auslagen erstattet werden, die er zum Zweck seiner beruflichen Leistungsfähigkeit tätigt. Die Kilometerpauschale ist vor allem ein regionalpolitisches Instrument, um strukturschwache Regionen am Leben zu halten. Für viele Berufspendler wäre es ansonsten nicht möglich, täglich größere Entfernungen zum Arbeitsplatz zurückzulegen. Für strukturschwache Regionen wie Frankfurt/Oder mit seinem hohen Pendleranteil nach Berlin wäre ein Wegfall dieser Subvention eine ökonomische Katastrophe. Wer diese Subventionenstreichen will, der soll das auch so sagen. Die meisten Steuerpflichtigen sind sich indes überhaupt nicht bewusst, was Subventionen bei der Einkommensteuer eigentlich sind.
    Freilich gibt es auch Subventionen, die es Topverdienern ermöglichen, Steuern zu sparen. Dabei geht es jedoch nur sehr selten direkt um die Einkommensteuer, sondern meist um andere Steuern, mit denen das zu versteuernde Einkommen reduziert werden soll. Dies betrifft den Verlustvortrag für Finanz- und Handelsgeschäfte ebenso wie die Tonnagesteuer, die es Topverdienern erlaubt, nahezu steuerfrei in Handelsschiffe zu investieren. Wenn Steuerkritiker wie Friedrich Merz oder Paul Kirchhof von einem Abbau der Subventionen sprechen, meinen sie damit aber nie die Abzugsmöglichkeiten außerhalb des Einkommensteuerrechts, die von Besserverdienern rege genutzt werden, sondern stets die Subventionen, die für den niedrigen Einkommensbezieher und die Strukturpolitik von Bedeutung sind.
    Einnahmen und Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden
    in Prozent des Bruttoinlandsprodukts

    Copyright: NachDenkSeiten 2011 – Quelle: Statistisches Bundesamt
    Will die Gesellschaft ihrem Auftrag gerecht werden, die Bürger bei ihrem Streben nach Glückseligkeit zu unterstützen und die sich immer weiter öffnende Einkommens- und Vermögensschere wieder zu schließen, führt an Steuererhöhungen kein Weg vorbei. Betrugen die Steuereinnahmen noch bis Mitte der 1990er Jahre durchweg mehr als 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ist dieser Wert bis zum Jahr 2010 auf rund 22 Prozent gefallen. Drei Prozentpunkte mögen sich nach wenig anhören – auf das Jahr 2010 gerechnet, stehen diese drei Prozentpunkte jedoch für 75 Milliarden Euro. Hätten Bund und Länder heute eine vergleichbare Steuerquote wie vor fünfzehn Jahren, wäre keine Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte nötig. Alternativ könnte sich der Bund auch weiter verschulden und die zusätzlichen Einnahmen in sinnvolle Bereiche wie die Bildungs- und Sozialpolitik investieren.
    Um die bereits weit geöffnete Einkommens- und Vermögensschere wieder zu schließen, also eine Periode einzuleiten, die Paul Krugman für die USA als »große Kompression« bezeichnet hat, wären jedoch auch Steuersätze denkbar, die weit über denen der Kohl-Ära liegen. Dies ist jedoch politisch nicht gewollt. Die Politik hat kein Interesse daran, die Armut (und den Reichtum) zu beseitigen und eine gerechtere Gesellschaft herbeizuführen. Diese Verweigerungshaltung findet nun in der Eurokrise ihren Höhepunkt. Während monothematisch über Schuldenbremsen,

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