Striptease: Roman (German Edition)
beim Gebrüll und den Pfiffen von Fremden. Die beiden Moniques hingegen liebten diese laute, ungezügelte Aufmerksamkeit, denn dadurch kamen sie sich vor wie echte Stars. Je wilder das Publikum reagierte, desto wilder wurde ihre Darbietung. Erin hingegen ging nicht auf die Zuschauer ein. Die Musik bestimmte ihre Aktionen, und sie bot ihr ebenfalls eine Fluchtmöglichkeit. Wenn Van Morrison sang, dann tanzte Erin tatsächlich im Mondlicht.
Aber das war im Club und nicht im Apartment eines Gastes.
Trotzdem hatte sie keine Angst. Mr. Peepers war in ihrer Nähe offenbar hilflos. Er hätte seine Zunge auch in eine Steckdose geschoben, wenn sie das von ihm verlangt hätte. Erin neutralisierte den Mann noch mehr, indem sie sich nach dem sepiafarbenen Porträtfoto einer Frau mit lockigem Haar erkundigte, die sie beide von der Anrichte aus ansah. Es war, wie Erin vermutet hatte, Jerrys liebe verstorbene Mutter. Erin fühlte sich unter dem wachsamen Blick der alten Mrs. Killian völlig sicher.
Killian räumte den ovalen Tisch ab und half Erin hinaufzusteigen. Sie reichte ihm ihre Sandaletten und ihre Handtasche. In diesem Moment hatte Killian die Pistole, den Kongreßabgeordneten, die Erpressung und das aktuelle Datum schon längst vergessen …
Das Holz war glatt und kühl unter Erins Füßen. Sie tanzte vier Minuten lang und zog dabei nicht mal ihren Pulli aus. Killian war völlig verzaubert. »Wundervoll«, murmelte er immer wieder vor sich hin.
Als der Titel zu Ende war, schob er etwas in die Gesäßtasche ihrer Jeans. Es war kein Trinkgeld.
An der Tür gab sie ihm einen schwesterlichen Schmatz auf die Wange. Killian zuckte im Augenblick des Kontakts zusammen. Er sagte: »Wenn ich gute Neuigkeiten habe, sehen Sie mich draußen vor dem Club stehen.«
»Seien Sie vorsichtig«, sagte Erin, obgleich sie sich keine ernsthaften Sorgen machte. Das Schlimmste, was passieren konnte, war, daß der Kongreßabgeordnete Killian befahl, sich endlich zu verpissen.
Er stand in der Haustür und winkte, während Erin zu ihrem Wagen ging. Sie erwiderte das Winken und schenkte ihm ein besonders freundliches Lächeln. Im Grunde war er ein guter Kerl.
Zu Hause holte sie den Zettel aus der Gesäßtasche und faltete ihn auf der Küchenanrichte auseinander. Die Botschaft lautete:
Danke für die Rettung meiner Seele.
An diesem Abend machte Erin eine Doppelschicht im Eager Beaver in der Hoffnung, daß Jerry Killian auftauchen würde. Er tat es nicht. Am folgenden Morgen rief sie in seiner Wohnung an, aber niemand meldete sich. Als sie ihr Glück beim Fernsehsender versuchte, erklärte ihr der Nachrichtenchef, Mr. Killian sei in Urlaub gefahren. Er werde in zwei Wochen zurück erwartet.
Im Club verlegte Erin sich wieder auf ihre üblichen Tanznummern – Clapton, Credence Clearwater, die Allman Brothers. Schon bald verlor sie sich in den Klängen der Bluesgitarre, und die Welt erschien ihr als ein schönerer Ort, obgleich sie es nicht war.
Sie sah Jerry Killian nie wieder.
9. KAPITEL
Am Abend des 16. September tranken die Skyler-Brüder in einer Kneipe namens Lozeau Lounge in West-Montana pro Mann sechs Bier, zielten mit Wurfpfeilen auf einen ausgestopften Elch und diskutierten über die kosmische Bedeutung eines Randy-Travis-Songs.
Danach begaben sie sich auf den Heimweg in ein Tal in den Bitterroot Mountains. Johnny Skyler fuhr, weil der Führerschein von Bruder Faron viermal vorübergehend ausgesetzt und zweimal endgültig eingezogen worden war. Das war keine geringe Leistung im großen und freien Staat Montana, wo Autofahren und Alkoholkonsum als unveräußerliche Rechte betrachtet wurden.
Johnny Skyler folgte der Schotterstraße zum Clark Fork River und der einspurigen Stahlbrücke, die sie zu ihren jeweiligen Ehefrauen und Kindern brachte, die in identischen extrabreiten Wohnwagen auf sie warteten. Sie hatten sie mit einem Nachlaß von zwanzig Prozent vom ursprünglichen Preis auf einer Frühjahrsausstellung in Spokane erworben. Das Geld, das die Skyler-Brüder beim Kauf der Wohnwagen gespart hatten, war sinnvoll angelegt worden: eine große Satellitenschüssel war auf einer ebenen Lichtung zwischen den beiden Wohnwagen in der Erde verankert. Die Fernsehschüssel, ein paraboler Schandfleck zwischen den majestätischen Douglasfichten und Ponderosakiefern, war immer noch die beste Investition, die Johnny und Faron je getätigt hatten: Wrestlemania! Japanische Spielshows! Eines Abends, als sie durch die Kanäle
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