Strom der Sehnsucht
mich an Eurer Stelle nicht verlassen«, erwiderte er sanft.
Sie hätte der Selbstsicherheit, mit der er die Situation zu beherrschen glaubte, gerne einen Dämpfer versetzt. Er sah mit spöttischer Anerkennung zu, wie sich ihr Busen heftig hob und senkte und ihr die Röte in die Wangen stieg. »Da wir nun zu einer Verständigung gekommen sind, würdet Ihr mir freundlicherweise alle Details über den Tod meines Bruders mitteilen?«
»Ich kann Euch nichts erzählen, weil ich nichts weiß! Wie kann ich Euch nur davon überzeugen, daß ich nicht dabei war?«
»Ihr wurdet gesehen, wie Ihr das Schloß kurz nach zwei Uhr nachts verlassen habt. Ein paar Stunden vorher wurde mein Bruder in seinem Bett erschossen. Man fand einige lange rote Haare und ein grünes Seidennachthemd, das seine Diener als Eures identifizierten. Ihr seid dabei gewesen.«
Angeline kam aus dem Takt. Sie stolperte und fiel gegen den Prinzen. Er fing sie auf und zog sie an seine Brust, so daß sich ihr die kalten Knöpfe und Orden in die Haut preßten. Hastig entwand sie sich ihm und senkte die Lider, um ihre Verwirrung zu verbergen. »Dem muß ein verhängnisvoller Irrtum zugrunde liegen.«
»Allerdings, und Maximilian beging ihn, als er Euch für eine Nacht zurückkehren ließ, obwohl er Euch schon ausbezahlt hatte. Ich muß allerdings zugeben, daß ich diese inkonsequente Haltung bei näherer Bekanntschaft mit Euch besser verstehen kann.«
Seine Worte ließen keinen Zweifel übrig. Claire war Maximilians Maitresse gewesen. Angeline hätte gerne etwas anderes gehört, aber es fügte sich nur zu gut ins Bild. Das erklärte die zurückhaltenden Briefe der letzten Zeit, aber auch Claires persönliches Desinteresse am Wohle Rutheniens und den Zynismus, den Angeline jetzt an ihr wahrnahm, und die seltsamen Blicke, die sie Tante und Kusine hatte wechseln sehen.
»Ein unangenehmes Gefühl, durchschaut zu werden?«
»Wenn ich unangenehm berührt bin«, fauchte sie, »dann, weil Ihr mir etwas über Claire enthüllt habt, das ich lieber gar nicht wissen will.«
Seine Miene wurde eisig. Zwischen den Zähnen knirschte er hervor. »Das genügt, Mademoiselle. Ihr werdet kooperieren, oder...«
»Mit Vergnügen«, erwiderte sie herausfordernd. »Wir könnten uns zum Beispiel darüber unterhalten, wer Eurem Bruder möglicherweise den Tod wünschte! Sollen wir gemeinsam darüber nachdenken, Königliche Hoheit, wem sein Ableben am ehesten gelegen kam? Wer könnte dabei gewinnen - Vermögen, Titel, ein hohes Amt?«
Ihre Stimme war tragend. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie einer seiner Leute - der Breitschultrige mit dem sandfarbenen Haar und der sichelförmigen Narbe am Mundwinkel - überrascht zu ihr und dem Prinzen hinüberblickte. Die Veränderung an dem Mann, der sie führte, war kaum wahrnehmbar, und doch packte sie auf einmal die Angst.
Schließlich sagte er bedächtig: »Es wird wohl das beste sein, wenn wir uns unter vier Augen unterhalten.«
»Selbst wenn ich einverstanden wäre, was aber nicht der Fall ist, wäre das völlig zwecklos.«
»Für den, der wagt, ist das Einverständnis einer Frau ohne Belang.«
Er schob energisch das Kinn vor, und seine türkisblauen Augen blickten kühl auf Angeline herab. »Ihr könnt doch nicht... Ihr werdet nicht...«
»Nein? Nichts ist mir bei der Suche nach dem Mörder meines Bruders zu niederträchtig und gemein. Ich werde beweisen, daß er nicht selbst Hand an sich gelegt hat, und mich in den Augen meines Vaters und meines Volkes von dem Verdacht reinigen, den Ihr eben so delikat angedeutet habt.«
Der Tanz wurde langsamer und ging zu Ende. Da Angeline sich nicht länger widersetzte, hatte der Prinz den Griff gelockert, so daß sie die Distanz wahren konnte, die der Anstand verlangte. Als der letzte Walzertakt verklang, entwand sie sich ihrem Partner.
Er setzte ihr nach und packte sie so fest am Handgelenk, daß sie meinte ihre Knochen knacken zu hören. Mit weißem Gesicht blieb sie stehen. Im Bann des blauen Feuers seiner Augen unter den eigentümlich schrägen Brauen starrte sie zum Prinzen auf.
»Wohin so eilig?« fragte er.
»Ich muß zu meiner Tante. Sie... man wird es sonderbar finden, wenn ich nicht komme.«
»Sollen die anderen doch denken, was sie wollen«, antwortete er und warf den Kopf zurück.
Da näherte sich ihnen Andre, verbeugte sich und ließ den dunklen Blick über sie und den Mann an ihrer Seite schweifen. »Stimmt etwas nicht?«
»Ich... ich erklärte gerade dem Prinzen, welche
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