Strom der Sehnsucht
spiegelte. Andre sah es und verzog schmerzlich das Gesicht. Er drückte Angeline die Hand und lächelte sie an, doch sein Blick war trüb. Sacht führte er ihre Finger an die Lippen und legte sie wieder auf Rolfs Arm.
»Ihr hattet recht«, sagte Andre. »Ich habe ihr Gesicht gesehen, als sie den Gang entlangschritt. Ich verzichte auf sie und gebe sie Euch.«
Er trat zurück, machte kehrt und verließ mit schnellem Schritt die Kirche. Angeline war wie benommen und drehte sich nach ihm um, während sie vorwärts gezerrt wurde zum Altar und dem wartenden Priester.
Es war eine kurze Zeremonie. Nur die Aufzählung von Rolfs Namen, die sie noch nie gehört hatte, darunter einer der glänzendsten von Europa, bildete eine kleine Verzögerung. Als es vorüber und die Eintragung ins Kirchenbuch erfolgt war, verließen sie das Gotteshaus. Die Garde küßte die Braut herzhaft in fröhlicher Ausgelassenheit, bevor Rolf Angeline in die Kutsche setzen durfte. Drinnen starrte sie ihn verwundert an. Aber es waren nur ein paar Schritte bis zur Anlegestelle, und Angeline fand noch immer keine Worte, bevor der Wagen wieder anhielt.
Rolf trug sie auf seinen Armen aus der Kutsche die Holztreppe zum Uferdamm hinauf und über die Landungsbrücke an Bord des großen Schiffs, das sie erwartete. Eine Pfeife ertönte. Männer verbeugten sich tief, als er an ihnen vorbeiging. Rolf neigte den Kopf, ohne stehenzubleiben.
Ihre Kabine war geräumig. An den getäfelten Wänden waren Fischtranlampen angebracht, auf dem Boden lag ein türkischer Teppich, auf dem ein Tisch und Stühle aus Mahagoni standen. Auf der anderen Seite befand sich ein großes Staatsbett aus Mahagoniholz mit eingelegtem Gold, dessen gewaltige Pfosten Straußenfedern schmückten. In den blauen Samthimmel waren die Wappen und Insignien der ruthenischen Könige eingestickt. Rolf trat ans Bett und legte Angeline sacht auf die Decke. Die Matratze sackte durch, als er sich zu ihr setzte. Er beugte sich über sie und stützte rechts und links von ihr die Arme auf.
»Es tut mir leid, wenn du es nicht so gewollt hast. Ich konnte nicht anders. Ich ertrage es nicht, mich von dir zu trennen und dich einem anderen zu überlassen, während du bußfertig mein Kind austrägst und es beiseite schiebst, weil es schmerzliche Erinnerungen weckt; während du Kinder empfängst und zur Welt bringst, die Andre gezeugt hat. Ich muß dich bei mir haben, sonst werde ich vor Sehnsucht und sinnloser Reue verrückt.«
Sie war nicht überrascht, nur sehr erleichtert. »Woher weißt du...«
»In jener Nacht auf dem Ball lag etwas Geheimnisvolles in deinem Blick, und in deinem Lächeln war leise Melancholie. Danach, als ich zu dir gekommen bin, waren deine Brüste voll und reif in meinen Händen, und...«
»Ja«, erwiderte sie hastig und senkte die Lider. Dann sah sie ihn forschend an. »Aber wenn das stimmt und du mich heiraten wolltest, warum hast du dann nicht -?«
»Warum ich die künftige Verbindung nicht schon vor Tagen angekündigt und dich unter meinen Schutzmantel genommen habe, warum ich nicht die Fanfaren erklingen ließ? Du wärst zur offiziellen Zielscheibe geworden, und sobald dein Geheimnis herausgekommen wäre, hätte man dich als Vormund meines Erben ebenso beseitigen müssen wie mich selbst. Außerdem wärst du dadurch zu einer Geisel geworden, die ich hätte auslösen müssen, wenn man sie gefangennimmt. Ich konnte nicht einmal die Attacken auf mich selbst verhindern. Wie sollte ich dich schützen? Es war besser, dich von mir fernzuhalten, obwohl ich mich vor Sehnsucht nach dir nicht mehr beherrschen konnte und damit meinen Plan zunichte machte.«
»Meyer hat alles erraten und meine Nützlichkeit als Geisel bewiesen.«
»Denk nicht mehr daran!« erwiderte er rauh. »Denk an Ruthenien unter Eisdiamanten und Opalen aus Schnee oder an Schals mit seidenen Fransen, an goldene Fächer in allen Regenbogenfarben, an sonnenbeschienene Topase und Valenciennesspitzen.« Er schlug den Schleier auf ihrem Haar zurück und zog die Nadeln heraus, mit denen er festgesteckt war.
»Die corbeille de noce«, entgegnete Angeline verblüfft. »Sie war also von dir! Ich dachte schon, Andre wäre verrückt, weil das alles so kostbar war.«
»Und warum auch nicht. Er war der Erwählte, und in der Nacht, in der er es wagte, eure Verlobung zu verkünden, wurde er beinahe Opfer des unbezähmbaren Grimms eines frischgebackenen Königs.«
»Statt dessen hast du ihm gratuliert!«
»Es ist mir noch nie so
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