Stromschnellen: Roman (German Edition)
nicht geschrieben, dass ich zu ihr kommen soll, und sei es nur zu Besuch?«
»Hast du ihr gesagt, dass man deinen Daddy erschossen hat?«
»Nein.«
»Vielleicht solltest du es ihr sagen. Vielleicht weiß sie es noch gar nicht.«
Margo zuckte mit den Schultern. Sie hatte einen Anlauf unternommen, es aber nicht über sich gebracht, die Worte hinzuschreiben.
»Keine Sorge, Maggie. Du hast mich. Ich werde immer für dich sorgen«, sagte er betrunken. »Maggie, wie weit würdest du für mich gehen? Würdest du für mich töten?«
»Ich habe ein Kaninchen für dich getötet. Aber das ist inzwischen verkocht.« Während sie es am Flussufer abgebalgt und gesäubert hatte, hatte sie an Brian gedacht und sich vorgestellt, wie gut es ihm schmecken würde. Sie hatte angefangen, aus Kaninchenfellen, die sie mit Salz gerbte, eine Tagesdecke für ihrer beider Bett zu nähen. Etwas Weicheres als Kaninchenfell gab es nicht. Alles, was sie jetzt tat, hatte irgendwie mit Brian zu tun, im Guten wie im Schlechten.
»Würdest du für mich einen Menschen töten?« Er hielt ihr Handgelenk fest und wartete auf eine Antwort.
»Wenn er dich umbringen wollte, würde ich ihn töten.«
»Ich hab noch nie eine Frau gekannt, die für mich töten würde. Ich würde auch für dich töten«, verkündete er laut, als wollte er jemanden beeindrucken, der gar nicht da war. »Ich würde meinen eigenen Bruder töten, wenn er sich an dir vergreift, Maggie. Und wenn ich Cal Murray je wiedersehe, bring ich ihn um.«
»Keiner muss irgendwen töten«, sagte sie. »Du tust mir weh.«
»Oh!« Beflissen ließ Brian sie los. »Ich möchte dir nicht wehtun.« Unbeholfen streckte er die Hand aus, um ihr seitlich übers Haar zu streichen, aber die trunkene Langsamkeit seiner Geste erschreckte sie. »Als du zu mir gekommen bist, habe ich mir geschworen, dir nie wehzutun und immer sanft zu dir zu sein. Ich habe zu Gott gesprochen, ich habe in Gedanken zu Ihm gesagt: Wenn sie bei mir bleibt, werde ich sie gut behandeln. Bitte verlass mich nicht, Maggie. Versprich mir, dass du mich nicht verlässt.«
Margo hätte ihn gern gebeten, keinen Whiskey mehr zu trinken, aber sie wusste genau, dass es nichts brachte, mit einem Trinker über ernste Dinge reden zu wollen, solange er betrunken war. Das Beste wäre, ihn ins Bett zu verfrachten.
»Wohin sollte ich schon gehen, Brian? Ich hab doch sonst niemanden.«
»Ich hätte nie gedacht, dass ich mal das Glück haben würde, ein Mädchen wie dich zu finden, ein wunderschönes Mädchen, das abends für mich kocht, mit mir schläft und keine Ansprüche stellt.« Er zog sie um den Tisch herum auf seinen Schoß und schlang die Arme um sie. Normalerweise mochte Margo es, von Brian umfangen und ihm ganz nah zu sein – es war, als wäre sie mit einer starken Waffe verbunden.
Als er nach draußen ging, um sich zu erleichtern, setzte Margo sich an den Tisch und lauschte durch die Wände dem Quaken der Leopardfrösche. Wie lange konnte sie wohl noch hierbleiben?
»Ich gebe mein Bestes«, flüsterte sie für den Fall, dass Crane das hier mitbekam. »Ich werde mich schon durchschlagen, Daddy. Mach dir um mich keine Sorgen.« Zum ersten Mal hatte sie laut mit ihm gesprochen. Falls die Toten tatsächlich in den Himmel oder in die Hölle kamen, fragte sie sich, wie Crane dort wohl ohne sie zurechtkommen würde.
In diesem Jahr trat der Fluss nicht über die Ufer. Zum Ende des Frühlings setzte milder Dauerregen ein. Erst im Juni kletterte das Thermometer an einigen Tagen über zwanzig Grad, und es kam Wind aus südlicher Richtung auf. Am zweiten dieser warmen Tage kehrte Brian wieder mit blutenden Knöcheln aus der Bar zurück. Ein Mann hatte ihm die Jacke weggenommen, erklärte er.
»Wenn du dir von jemandem die Jacke wegnehmen lässt, glaubt er, du gehörst ihm. Man weiß nicht, was er sich noch alles ausdenkt. Als Nächstes vögelt er deine Frau.«
Margo sah ihn erschrocken an.
»Du weißt, was es heißt, eine Rechnung zu begleichen, Kleine. Ich weiß, dass du das verstehst. Eines Tages wirst du es deinem Cousin heimzahlen.«
Margo nickte. Sie war klug genug, nicht auf Rache zu sinnen, konnte aber den Wunsch danach nicht völlig unterdrücken. Allerdings sagte sie Brian nicht, was sie nur allzu gut wusste: Nicht immer ließ sich Gerechtigkeit herstellen, und wenn man es trotzdem versuchte, verlor man manchmal alles.
9. KAPITEL
An einem Tag im August fuhr Brian in die Stadt und kehrte weder bei Einbruch der Dunkelheit noch
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