Stromschnellen: Roman (German Edition)
zweiten Frau wollte er sich zwar scheiden lassen, aber der Volltrottel hat es ihr noch nicht gesagt. Er hat gehofft, dass sie was mit ’nem anderen Kerl anfängt. Das hätte es leichter gemacht, und er hätte bei der Scheidung besser dagestanden. Sie haben zwar nicht mehr richtig zusammengelebt, aber sie hält zu ihm. Und sie kann jetzt mehr für ihn tun als du.«
In der Hütte bewegte sich Margo wie in Trance. Sie filetierte den Wels und bereitete ihn so zu, wie sie es für Brian getan hätte: Sie wälzte ihn in einer Mischung aus Mais- und Weizenmehl und briet ihn im letzten Rest Speckfett, das schon leicht ranzig war. Nach dem Essen schaltete Paul eine nagelneue batteriebetriebene Lampe mit summender Neonröhre ein. Margo war entsetzt, als sie sah, wie viele Käfer sich an den Wänden tummelten, wie schäbig der Läufer im bläulichen Licht wirkte und wie verwahrlost sie selber war. Sie zog ihren Zopf über die Schulter und stellte fest, dass er total zottelig war. Paul und Charlie nahmen die Lampe mit nach draußen und machten sich daran, mit einer Sandschaufel ein Loch zu graben. Margo war dankbar, nicht mehr im grellen Licht zu stehen. Sie öffnete den Zopf und bürstete sich das Haar. Als Paul hereinkam, um sich noch ein Bier zu holen, bat sie ihn, ihr mehr zu erzählen.
»Da gibt’s nichts mehr zu erzählen.«
»Gehört die Hütte Brian?«, fragte sie.
»Sie gehört mir und Brian. Du kannst so lange bleiben, wie du willst, Maggie. Zerbrich dir darüber nicht dein hübsches Köpfchen. Aber ich muss hier ein paar Sachen lagern, und ich warne dich: Rühr sie nicht an! Das meine ich ernst.«
»Was ist in dem Fass?« Margo fiel auf, dass Pauls Wanderstiefel brandneu wirkten, genau wie seine Uhr.
»Das geht dich nichts an, Maggie. Der Inhalt ist sehr wertvoll. Du sollst einfach die Finger davon lassen.«
Sie nickte. »Weißt du, ob Brian in sein Postfach geschaut hat?«
»Keine Ahnung.«
»Vielleicht hat meine Mutter mir geschrieben, dass ich zu ihr kommen soll.«
»Er hat nichts von einem Brief gesagt. Wenn ich ihn das nächste Mal besuche, kann ich ihn fragen.«
Als Paul wieder hinausging, um weiterzugraben, spülte Margo das Geschirr mit Wasser, das sie hereingetragen und auf dem Gaskocher erhitzt hatte.
Normalerweise trank sie keinen Alkohol, aber sie musste etwas anders machen als sonst – sozusagen aus Protest gegen die neue Situation. Also machte sie ein Bier auf, und obwohl sie die ersten Schlucke scheußlich fand, trank sie die Dose leer. Dann faltete sie den Brief zusammen, den sie an ihre Mutter geschrieben hatte. Darin hatte sie Luanne gefragt, was sie von Treue zu einem Mann hielt, was Treue wert sei. All die Fragen, die sie ihrer Mutter stellte, liefen auf eine einzige Frage hinaus: Wie sollte Margo leben? Sie hatte sich für dieses Leben entschieden, in dem Brian ihr Anker gewesen war, der ihr Beständigkeit und Halt gab. Aber jetzt trieb sie wieder ziellos umher. Sie öffnete eine zweite Bierdose und fand den Geschmack gar nicht mehr so übel. Als sie das Geschirr abgespült hatte und die Männer immer noch draußen zugange waren, las sie noch einmal den alten Brief ihrer Mutter auf dem gelben Papier mit den Hummeln darauf – der Blumenduft hatte inzwischen nachgelassen – und trank dazu ein drittes Bier. Danach wankte sie ins Bett und schlief sofort ein.
Kurz vor Sonnenaufgang erwachte sie mit trockenem Mund, Kopfschmerzen und einem schweren Männerarm auf ihrem Körper. Als ihr klar wurde, dass Paul neben ihr im Bett lag, rang sie nach Luft. Mühsam machte sie sich von ihm frei. Nach mehr als einer Woche ohne Brian hatte Margo fast vergessen, wie viel Wärme ein großer Mann verströme. Im Schlafzimmer war es stickig. Sie war froh, dass Paul wie ein Toter schlief, und noch froher, als sie feststellte, dass sie vollständig angezogen war. Sie ging nach nebenan und machte Wasser für den Pulverkaffee heiß. Die Gasflasche war beinahe leer. Brian hatte an dem Tag, an dem er verschwunden war, in der Stadt eine neue besorgen wollen. Charlie hatte sich im Schlaf sonderbar zusammengerollt, er lag halb auf und halb neben der schmalen Couch.
Margo nahm den Kaffee mit nach draußen und sah vom Steg aus, wie der Jeep vom gelben Haus weg und flussabwärts fuhr. Sie staunte über die geraden diagonalen Bahnen, die der Mann bis zum Fluss in den Rasen gemäht hatte. Den Rand hatte er mit einer Motorsense getrimmt, die er wie einen Golfschläger geschwungen hatte. Im Unterschied zum wild
Weitere Kostenlose Bücher