Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
Vom Netzwerk:
Charlie. Er arbeitet mit mir in der Fabrik.« Paul arbeitete seit Langem in einem pharmazeutischen Werk, das Generika herstellte. Brian nannte ihn »Fabrikratte«, was Paul auf die Palme brachte. Charlie war ein hagerer Bursche und hatte eine eingesunkene Wange, weil ihm ein paar Zähne fehlten.
    Paul nahm die Fische nacheinander aus dem Eimer, ritzte mit seinem Messer die Haut rund um den Hals ein und nagelte sie mit dem Kopf an die nächste Eiche. Sie rollten die Schwänze auf und ab und klatschten damit gegen die Rinde. Die beiden Männer standen daneben, als Margo einen Fisch mit dem Hammer betäubte und sich daranmachte, ihm mit der Zange die Haut abzuziehen.
    »Erzähl mir, was passiert ist.« Margo kam aus Versehen an die Rückenflosse eines Welses und stach sich in den Finger.
    »Na ja, wir waren in Murrayville in The Pub und sind dann auf ein paar Bierchen ins The Tap Room weitergezogen. Brian und der Typ, mit dem er gerade Billard spielt, fangen an zu streiten, und da kommt Cal Murray rein. Es war, als hätte mein Bruder nur auf ihn gewartet, aber Cal hält sich zurück. Also sagt Brian zu ihm: ›Ich hab gehört, man hat dir den Schwanz weggeschossen. Hast jetzt angeblich nur noch ’nen hässlichen kleinen Stummel.‹ Das ist witzig, aber keiner traut sich zu lachen. Cal sagt zu Brian: ›Willst du ihn lutschen?‹, und Brian sagt: ›Für das, was du der Kleinen angetan hast, gibt es keine Vergebung.‹ Brian haut ihm ein paar rein, aber Cal wehrt sich seltsamerweise kaum. Keine Ahnung, ob er betrunken war oder was. Brian stößt ihn ein paar Stufen runter. Er merkt anscheinend gar nicht, dass Cal nicht zurückschlägt, und trampelt auf der Treppe wie ein Besessener auf ihm rum. Er hat Cal beide Beine gebrochen.«
    »Was?« Die Fischhaut riss.
    »Er hat ihm die Knochen in den Beinen gebrochen – du hast richtig gehört.«
    Seufzend packte Margo mit der Zange wieder die Haut. »Warum musstet ihr auch nach Murrayville fahren?«
    »Wir leben in einem freien Land, hat Brian gesagt. Wir können unser Bier trinken, wo wir wollen. Aber du weißt, wie es an Brian gefressen hat, was Cal mit dir gemacht hat. Er konnte nicht anders, er musste ihn sich vorknöpfen.«
    Margo hatte Brian nie jemanden schlagen sehen, aber sie konnte sich vorstellen, wie er sturzbetrunken auf Cal eindrosch und ihn mit Füßen trat. Mit der Rückseite eines Fingers fuhr sie über die Brustflosse des Welses. Diesmal war der Schmerz so heftig, dass sie überrascht war, kein Blut zu sehen. Ja, Brian war eine Waffe, aber eher eine Landmine oder eine Granate als ein Gewehr oder ein Messer.
    »In null Komma nichts waren der Krankenwagen und die Bullen da, und Brian ist ins Gefängnis gewandert. Jetzt, wo sie ihn eingelocht haben, kriegen sie ihn auch wegen Totschlags dran.«
    »Cal ist doch nicht tot, oder?«
    »Nein. Ich meine wegen der fahrlässigen Tötung.«
    »Welche fahrlässige Tötung?«
    »Weiß der Geier, wie das richtig heißt. Das war letzten Sommer oben in Rapid River, ganz im Norden unseres schönen Michigan. Brian hat dir bestimmt davon erzählt. Was glaubst du wohl, warum er sich hier im Wald verkrochen hat?«
    Die Bäume um sie herum wirkten auf einmal dicker und höher. Vorsichtig, damit sie nicht riss, zog Margo an der Haut des zweiten Welses, aber dabei stach sie sich die Spitze der Rückenflosse in den Handrücken. Sie zuckte zurück und vermasselte alles. Der halb gehäutete Fisch wachte auf und rollte den Schwanz am Baumstamm auf, als wollte er wegschwimmen.
    »Hey, Charlie, wirf mal ’n Bier rüber«, sagte Paul. Margo drehte den Kopf und sah die Bierdose verblüffend schnell und zielgerichtet durch die Luft fliegen. Sie klatschte in Pauls Hand, und als er sie öffnete, lief ihm der Schaum über die Finger. »Ich dachte, du wüsstest das, Maggie.«
    Langsam bearbeitete sie den letzten Wels mit der Zange. Sie zog die Haut in einem Stück ringsherum bis zum Schwanz herunter und schnitt sie dort ab. Wenn das, was Brian oben im Norden getan hatte, ein Unfall war, warum hatte er es dann nicht erwähnt?
    »Die Polizei hatte von dem Vorfall im Norden nur eine Personenbeschreibung, aber darin wurden die Narben von den Messerschnitten auf seinem Handrücken erwähnt. Es war dieselbe Nummer: Brian war betrunken und wusste nicht, wann Schluss ist.«
    »Kann ich zu ihm?«
    »Lieber nicht, Schätzchen. Seine Frau hat bestimmt was gegen dich.«
    »Seine Exfrau.«
    »Er hat eine Exfrau, aber das ist seine erste Frau. Von seiner

Weitere Kostenlose Bücher