Stromschnellen: Roman (German Edition)
bereuen lassen würde.
Nachdem Stunden später auf der anderen Flussseite der Jeep zurückgekehrt war, erschien der fischende Hund an seinem gewohnten Platz am Ufer. Um ihr Boot leichter zu machen, hob Margo Brians Außenborder heraus und stellte ihn vorsichtig, um die Schraube nicht zu verbiegen, auf ein paar Blöcke. Dann ruderte sie hinüber. Obwohl sie den Hund noch nie angefasst und sich ihm noch nie genähert hatte, folgte er ihrem Ruf, lief aufs Floß und sprang ohne zu zögern zu ihr ins Boot. Margo tätschelte seinen hellbraunen Kopf. »Ich nenne dich King«, sagte sie leise und dachte dabei an den Eisvogel oder auch Königsfischer, der oft ein Stück flussaufwärts von ihrem Haus in Murrayville gejagt hatte.
Gleich darauf stellte sie jedoch fest, dass es sich eindeutig um eine fischende Hündin, also um einen weiblichen Königsfischer und somit um eine Königin handelte.
Margo fand, dass es kein Diebstahl war, als sie mit der Hündin auf ihre Seite zurückruderte, sie dort herausspringen und am Ufer herumschnüffeln ließ. Moe, den Labrador der Murrays, hatte sie auch oft zu einem Besuch bei sich über den Fluss gerudert. Wenn diese Hündin hierbleiben und Waschbären auf Bäume hetzen wollte, war das ihre Sache. Sie folgte ihr zu Fuß am Fluss entlang und in den Wald. Mit so einer fischenden Hündin als Gefährtin würde es ihr nichts ausmachen, allein hier zu wohnen. Sie könnte ihr beibringen, anzuschlagen, wenn ein Fremder kam. Doch schon bald hörte sie eine Männerstimme rufen: »Cleo! Wo steckst du? Komm, Cleo!« Mit einem Satz sprang das Tier ins Wasser und schwamm mit der Strömung auf die andere Seite. Dort schüttelte es sich und lief über den Rasen zu seinem Herrchen.
Margo sah sich an der Stelle um, an der die Hündin zuletzt geschnüffelt hatte, und entdeckte an einem Baum ein paar gefächerte Konsolenpilze, gelb wie Eidotter: Schwefelporlinge. Diese Hündin war ein Glücksbringer. Sie brach von einem Pilz ein großes Stück ab und wischte ein paar Ameisen weg. Sie wollte sich am nächsten Tag mit ihren letzten beiden Würfeln Hühnerbouillon zum Abendessen eine Suppe daraus kochen.
Eine Woche starker Regen machte Margo in der Hütte zur Gefangenen. Als Brian noch hier gewesen war, hatte es sie nicht gestört, dass es weder Telefon noch Radio gab, aber jetzt sehnte sie sich danach, eine Stimme zu hören. Der Regen trommelte aufs Blechdach, und es hörte sich an, als regnete es auf die große Scheune der Murrays. Der Wasserpegel stieg bis zum Steg. Die meisten ihrer Altersgenossen stellten sich vermutlich darauf ein, dass in ein paar Wochen die Schule wieder losging. Margo hatte sich früher nie auf die Schule gefreut, aber dort wäre sie wenigstens unter Menschen gekommen. Sie wünschte sich, es gäbe mehr Bücher in Brians Hütte, andere Lektüre als die beiden Anleitungen zum Knotenmachen und Lesen von Tierspuren, die sie bereits mehrmals gelesen hatte.
Kaum ließ der Regen nach, ruderte Margo über den Fluss. Sie rief die Hündin aufs Floß, und sie sprang zu ihr ins Boot, doch bevor sie sich abstoßen konnte, tauchte der Mann hinter dem Schuppen auf, watete in Badehose und Tennisschuhen bis zu den Knien ins Wasser und hielt ihr Boot am Heck fest. Er war schlank und ein gutes Stück größer als Margo. »Guten Abend«, sagte er ruhig. »Wohin willst du mit meinem Hund?«
»A-a-a-auf die andere Seite … Ich wohne da drüben.« Rasch warf sie über die Schulter einen Blick auf die Hündin, die am Bug saß. Ihr Maul stand offen, und es sah aus, als lächelte sie. Sie bellte freudig.
»Ich weiß, wo du wohnst, aber warum nimmst du meinen Hund mit?« Sein Bizeps trat hervor, und seitlich an seinem Hals spannten sich die Sehnen. Als Margo weiter auf der Stelle ruderte, verlor er das Gleichgewicht. »Du willst mir offenbar nicht antworten.«
Auf Margos Armen und Beinen landeten Stechmücken, und auch dem Mann setzten sie zu. Als er das Boot mit einer Hand losließ, um nach ihnen zu schlagen, kam Margo los. Er verschränkte im Wasser die Arme und blickte ihr hinterher. Dabei wirkte er eher verblüfft als verärgert.
»Cleo, wir beide müssen wohl mal miteinander reden«, sagte er laut, aber im Plauderton. Zu Margos Erleichterung rief er die Hündin nicht sofort zurück. Seine Gestalt wurde immer kleiner, als sie flussaufwärts zur Hütte ruderte. Am Steg machte sie fest. King sprang über die Bordwand ins seichte Wasser, um an den Bauen der Bisamratten und den knorrigen Wurzeln zu
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