Stromschnellen: Roman (German Edition)
schnüffeln. Drüben verschwand der Mann kurz und kam gleich darauf mit einem Fernglas zurück. Nach einer Weile rief er »Cleo!«, und das Tier hechtete ins Wasser und schwamm nach Hause.
Ein paar Tage später fuhr Margo mit dem Außenborder zur Tankstelle von Heart of Pines, um von dem Geld, das Paul dagelassen hatte, Lebensmittel, Munition, Toilettenpapier und eine Gasflasche zu kaufen. Sie hatte sich nicht getraut, ihre Büchse mitzunehmen. Im Laden konnte sie sich damit nicht sehen lassen, denn womöglich erkannte jemand, dass sie Cal gehörte, und im Boot wollte Margo sie nicht lassen aus Angst, sie könnte gestohlen werden. Sie machte ihr Boot in einigem Abstand zu den anderen Booten fest und breitete die Persenning darüber. Im Laden addierte sie die Preise, rechnete die Steuer hinzu und kam auf einen Einkauf von insgesamt 33,82 Dollar. Eigentlich hatte sie auch tanken wollen, aber es hatte sich eine Schlange an der einzigen Zapfsäule gebildet, und Margo wollte nicht zusammen mit einem Dutzend herumlungernder Männer warten. Also verschob sie das Tanken aufs nächste Mal.
Auf dem Rückweg stellte sie auf halber Strecke kurz vor Willow Island den Motor ab und ließ sich von der Strömung tragen, um Benzin zu sparen. Die Ruder setzte sie nur ein, um Kurs zu halten. Am Ufer hielt sie nach Hunden, Vögeln und Kindern Ausschau. Dieser Abschnitt des dunklen, menschenleeren Flusses gehörte ihr. Sie trieb nahe am Ufer entlang und malte sich aus, wie fremde Leute sie einluden, mit ihnen zu essen oder sich einfach nur zu ihnen zu setzen und ihnen zuzuhören. Als sie um die letzte Flussbiegung vor der Hütte kam, stellte sie fest, dass Brians Boot am Steg lag. Aus der Hütte drang grelles, kaltes Licht – Pauls Neonlampe. Margo steuerte das andere Ufer an und hoffte, dass Paul nicht gerade auf den Fluss schaute, während sie vorbeifuhr. Sie machte gleich unterhalb des gelben Hauses an einem toten Baum fest und beobachtete von dort aus die Hütte. Bald darauf sah sie Paul und Johnny herauskommen und ein paar Minuten später mit einem Kanister wieder in die Hütte gehen. Margo wünschte sich, sie hätte es doch darauf ankommen lassen und die Büchse mitgenommen, anstatt sie mit ihrem Rucksack unter dem Bett liegen zu lassen. Sie wartete darauf, dass die Männer abfuhren, aber es wurde dunkler und dunkler, und sie taten es nicht. Ein Halbmond stieg auf und verschwand hinter den Bäumen. Es wurde kühl. Als das Licht schließlich ausging, faltete Margo die Persenning auseinander, legte ein Stück davon auf die Rückbank des Bootes und rollte sich darauf zusammen. Den Rest des Segeltuchs zog sie als Decke über sich, ihre orangefarbene Schwimmweste benutzte sie als Kopfkissen.
Vor Kälte bibbernd wurde sie von Hundegebell geweckt. Ein diffuses Licht erhellte den wolkenverhangenen Himmel. Sie lag nicht mehr im Boot, sondern, in die Persenning gewickelt, im Sand. King war bei ihr und leckte ihr Gesicht. Margo betrachtete die wunderschönen Augen und die perfekt geformte dunkle Hundeschnauze. Sie fuhr mit den Fingern durch das Fell, doch als sie den Mann über sich erblickte, sprang sie auf, kletterte ins Boot und machte sich an den Rudern zu schaffen. »Tut mir leid«, sagte sie.
»Was tut dir leid?«
»Dass ich Ihre Hündin mitgenommen habe.«
Er zuckte mit den Schultern. »Hunde sind treue Wesen. Wenn du sie mal gefüttert hast, kommen sie zu dir zurück.« Er nickte flussaufwärts in Richtung Hütte. »Falls du dich vor dem Kerl da drüben versteckst, kannst du mit zu mir ins Haus kommen. Wenn die Sonne aufgeht, sieht er dich womöglich hier draußen.«
Margo konnte den Mann nicht richtig erkennen, weil er die Sonne im Rücken hatte, aber er wirkte harmlos. Er hatte ihr keine Vorwürfe wegen der Sache mit seinem Hund gemacht. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, von Paul aber auf keinen Fall entdeckt werden wollte, beschloss sie, ihrem Instinkt zu vertrauen. Prüfend warf sie einen Blick auf den Knoten, mit dem sie ihr Boot am umgestürzten Ahornbaum festgemacht hatte: Brians Buch nach war es ein »Mastwurf«. Auch den Namen des Knotens am Bugring des Boots hatte sie gelernt: Rundtörn mit zwei halben Schlägen. Der dicht belaubte Ast würde das Boot tarnen, solang niemand direkt danach suchte. Und solang Paul sich keine neue Brille zulegte, hatte sie nichts zu befürchten. Sie nahm die Ruder und die Tasche mit den Einkäufen und ging hinter dem Mann den Pfad am Fluss entlang. Der Tau auf Gräsern und
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