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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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um die Enten zu ermuntern, es häufiger zu benutzen. Auf dem Feld auf der anderen Straßenseite wimmelte es von Kaninchen. Außerdem fand und verzehrte Margo einige der wild wachsenden Esspflanzen, die im Buch des Indianers erwähnt wurden: Erdkirschen, Sauerklee und Erdbirnen (die Joanna »Jerusalem-Artischocken« nannte und als Blumen anpflanzte). Im Indianerbuch war auch die Rede von Süßeicheln, aber sie hatte bisher nur bittere gefunden. Schwarznüsse, Hickorynüsse und Äpfel reiften vor sich hin, und wenn sie richtig reif wären, wollte Margo einen Wintervorrat anlegen.
    Margo wusch sich im Fluss, wie sie es als kleines Mädchen getan hatte, scheute aber davor zurück, sich nackt auszuziehen und schwimmen zu gehen, denn dann wäre sie schutzlos gewesen, falls jemand vorbeikam. Manchmal bildete sie sich ein, Cranes Geist mit grüblerischem Gesicht am Ufer oder über der Kiste mit seiner Asche schweben zu sehen. Gern hätte sie ihm gesagt, dass er nicht böse auf sie sein und sie auch nicht bemitleiden sollte. Sie kam schon klar. Die Einsamkeit war ein läppischer Preis dafür, dass sie nicht im Gefängnis saß oder von der Gnade der Murrays abhängig war. Abend für Abend breitete sie die Persenning zum Schutz über den feuchten Boden und rollte den Schlafsack darauf aus. Die Kiste mit der Asche legte sie zwischen sich und das Feuer. Zum Glück hatte sie nicht oft mit schlechtem Wetter zu kämpfen, und die wenigen Regengüsse überstand sie auf der Toilette am Parkplatz.
    In der zweiten Septemberwoche wurden die Nächte kühler. Das Verschwinden der Kolibris, das Auftauchen von einem Dutzend Weißkehlammern sowie die rötliche Färbung der sich an den ältesten Bäumen emporwindenden Ranken des Giftefeus kündeten davon, dass der Herbst vor der Tür stand und schon bald der Winter folgen würde. Margo musste sich etwas einfallen lassen, wie sie diese Jahreszeit überstehen konnte. Im Vorjahr hatte Michael sie bei sich aufgenommen. Wie himmlisch es wäre, wieder in sein Haus eingeladen zu werden, etwas zu essen und Kaffee zu bekommen, in sein großes Bett zu steigen, sich zu lieben, zu schlafen, aufzustehen, zu frühstücken und immer so weiter! Aber daran war nicht zu denken, das alles war viel zu weit weg. Sie hatte sich von Michael entfernt, und es gab keine Möglichkeit, den Strom ihres Lebens umzukehren. Sie fragte sich, ob Luanne in dem Monat seit ihrem Fortgang an Michaels Adresse geschrieben hatte. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, Margaret , hatte sie womöglich geschrieben. Zieh zu mir in mein Haus am Wasser.
    Eines Nachts hörte sie in der Ferne ein Waschbärenjunges wie einen allein gelassenen Säugling wimmern. Sie studierte den Himmel bis in die frühen Morgenstunden, bis am südlichen Horizont endlich das Sternbild des Mannes mit dem Gürtel auftauchte. Margo musste an den jagenden Indianer denken. Er lebte allein, aber seine Familie hoffte die ganze Zeit, dass er zu ihr zurückkehrte. Auf Margo wartete niemand, sie hatte es so weit kommen lassen, dass sie zu einem beziehungslosen Menschen geworden war.

15. KAPITEL
    Eines frühen Abends, noch im September, hörte Margo ein Auto auf den Parkplatz am Pokagon Mound fahren. Sie war gerade dabei, die Vorderläufe des ziemlich großen Waldkaninchens abzusägen, das sie geschossen hatte. Bevor sie sich an die Hinterläufe machte, legte sie eine Pause ein und lauschte der knarrenden Wagentür. In den zwei Monaten, die sie nun schon allein am Fluss lebte, war ihr Armeemesser stumpf geworden. Sie hatte versucht, es an Steinen zu schärfen, aber das hatte die Sache nur verschlimmert. Ein stumpfes Messer machte die Arbeit blutiger und schwieriger, als sie eigentlich war. Außerdem wusste Margo, dass man sich mit einer stumpfen Klinge schneller schnitt, deshalb arbeitete sie sehr vorsichtig.
    In den umliegenden Gemüsegärten gab es Paprikaschoten, Tomaten und Auberginen in Hülle und Fülle. Vor ein paar Tagen hatte sie sogar einen kleinen Kohlkopf ergattert und es geschafft, einige seiner Blätter in ihrer Kuchenform zu dünsten. In einem Maisfeld auf der anderen Straßenseite hatte sie ein paar übrig gebliebene, schon zu mehlige Kolben gepflückt. Und sie hatte drei Fleischtomaten stibitzt, die so reif waren, dass die Haut fast platzte. Das Kaninchen hatte sie mit einem gezielten Treffer ins Auge an einem Hang flussaufwärts erlegt.
    Allmählich ging ihr die Munition aus, und die letzten neun Patronen wollte sie für wichtige Schüsse aufheben.

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