Stromschnellen: Roman (German Edition)
es bei ihrer Ankunft bereits Abend war, merkte sie nur daran, wie hell ein Stück weiter vorn ein Lagerfeuer vor dem Dunkel flackerte. Sie befand sich nur etwa vierundzwanzig Meilen flussabwärts von den Murrays, aber es kam ihr viel weiter vor.
Margo schlich so nahe wie möglich heran, ohne dass die Teenager am Feuer sie bemerkten. Zwei von ihnen rauchten Zigaretten, ein Pärchen knutschte, und einer von den beiden anderen schien völlig in seine Bleistiftzeichnung versunken. Manche erkannte Margo als ehemalige Klassenkameraden. Die Namen fielen ihr zwar nicht ein, aber sie wusste, dass sie Freunde von Billy waren. Scheinbar eine Ewigkeit war in den einundzwanzig Monaten vergangen, seit sie diesen Leuten in der Schule auf dem Gang begegnet war. Obwohl sie früher nie ihre Gesellschaft gesucht hatte, zog es sie jetzt zu ihrem Holzrauch, ihren Zigaretten, ihrem Pfefferminzkaugummi und sogar ihrem Parfum, das sie im Klassenzimmer immer gestört hatte. Sie wollte bei ihnen sitzen und sich von ihren Stimmen einlullen lassen, aber sie hatte Angst, sie könnten Billy erzählen, dass sie hier war. Also breitete sie den Schlafsack und die Zeltplane auf der Rückseite des Pokagon Mound aus, einem etwa mannshohen Erdhügel mit einem Durchmesser von rund sechs Schritt, der voller Indianerknochen steckte – sofern die Geschichten über ihn stimmten.
Morgens träumte Margo so lebhaft von Zimtbrot und Apfelkraut, dass sie beim Aufwachen den Geschmack im Mund hatte. Als sie die Feuerstelle inspizierte, an der die Jugendlichen gesessen hatten, entdeckte sie einen Stapel dunkles Holz, das jemand mit einer Kettensäge zurechtgeschnitten hatte. Hinter dem Stapel befand sich ein weiterer Stoß.
»O Gott … o Gott!« Es dauerte eine Weile, bis Margo begriff, dass das Stöhnen von ihr selbst kam. Sie bückte sich und hob ein quadratisches Holzstück mit einer Kantenlänge von rund achtzehn Zoll hoch, das wie ein leicht gebogenes Schneidbrett aussah. Das Holz war schwer, kompakt wie Stein. Teakholz. Sie drückte es an die Brust und fragte sich staunend, wie ihr Boot je hatte schwimmen können. Wie mühelos sie damit manövriert hatte, grenzte an ein Wunder, sie hatte diese Zauberkunst von ihrem Großvater geerbt. Margo stöberte in den Holzstücken, bis sie auf eins stieß, auf dem River Rose stand, wobei vom ersten R ein winziges Stück fehlte. Mit den Fingern fuhr sie über die eingebettete Gewehrkugel, die bündig mit dem Holz abschloss. Dann legte sie das verwundete Teakholzstück zur Asche ihres Vaters neben den Rucksack.
Am nächsten Abend kamen die Teenager zurück, wieder ohne Billy. Sie nahmen jeweils nur ein Stück Teakholz vom Stapel, weil es so lange brannte. Margo lauschte ihrem Geplapper. Ein Mädchen wollte aufs Community College gehen, und es war ganz aufgeregt deshalb. Ein Junge wollte die Stadt verlassen, um ein State College zu besuchen. Ein Dritter wollte eine Stelle als Versicherungsmakler antreten. Margo staunte darüber, wie unbekümmert sie klangen, obwohl der eine oder andere von ihnen nicht einmal wusste, wo er wohnen oder etwas zu essen herbekommen würde. Sie lagen sich in den Armen und küssten sich, ließen einen Joint kreisen, alberten und lachten.
Margo hielt ihr Lager so klein wie möglich, und als die Teenager ein paar Abende später nicht mehr auftauchten, konnte sie endlich selbst Feuer machen. Jeden Morgen packte sie ihre Sachen und versteckte sie zusammen mit einer mit Wasser gefüllten Saftflasche in einem Baum hinter dem Indianerhügel. Der Rastplatz erwies sich als angenehme Zwischenstation, bis sie wüsste, wie es weitergehen sollte. Es gab nicht nur fließendes Wasser in den öffentlichen Toiletten, sondern er lag zudem nur eine halbe Meile von ein paar großen Gärten entfernt, aus denen sie sich Gemüse holen konnte, vor allem Tomaten. Statt die Besitzer zu bestehlen, hätte sie ihnen lieber einen Tauschhandel vorgeschlagen. Hätte sie bloß noch ihr Angelzeug, dann hätte sie ihnen die Innereien der Fische als Dünger oder Blaue Sonnenbarsche zum Braten geben können! Andererseits war ihr klar, dass es wahrscheinlich Probleme geben würde, wenn sie versuchte, mit ihnen ins Geschäft zu kommen. Es war also besser, unsichtbar zu bleiben. Von einer Farm in der Nähe kamen jeden Morgen ein paar Hausenten herüber. Als Margo die Stelle am Fluss entdeckte, an der sie gelegentlich ihre Eier ablegten, möbelte sie das Nest auf und polsterte es mit Maishülsen, weichem Gras und Kaninchenfell aus,
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